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Die Launen des Todes

Die Launen des Todes

Titel: Die Launen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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verschwanden.
    Ist das nicht seltsam? Dieser Brief, den ich schreibe, muss ein so starkes, unbewusstes Bild von Ihnen erzeugt haben, dass mein Geist, der verzweifelt Halt suchte, es externalisierte, als ich dessen bedurfte.
    Wie auch immer die Wahrheit lauten mag, meine Nervosität schwand, und ich war in der Lage, einen ganz anständigen Auftritt zu liefern.
    Es gelang mir sogar, einige Worte über Sam von mir zu geben, wenn auch nichts allzu Schweres. Dann trug ich seinen Aufsatz über
Death’s Jest-Book
vor. Kennen Sie das Stück? Beddoes ersann es in Oxford, im Alter von gerade einundzwanzig Jahren. »Ich denke an eine sehr schauerliche Tragödie, für die ich ein Juwel von einem Namen habe – DEATH ’S JEST - BOOK  – natürlich wird es nie einer lesen.« Womit er fast Recht hatte. Da er den Rest seines kurzen Lebens unausgesetzt daran arbeitete, nimmt es bei jedem Versuch, seinen Genius analysieren zu wollen, eine sehr zentrale Rolle ein.
    Kurz, es geht um zwei Brüder, Isbrand und Wolfram, denen von Herzog Melveric von Munsterberg das Geburtsrecht gestohlen, die Schwester entehrt und der Vater ermordet wurde. Nach Rache dürstend, lassen sie sich am herzoglichen Hof nieder, Isbrand in der Rolle des Narren, Wolfram als ein Ritter. Doch Wolfram fühlt sich so zum Herzog hingezogen, dass die beiden, sehr zu Isbrands Bestürzung und Abscheu, die besten Kumpel werden.
    Sams Theorie geht nun davon aus, dass der exzentrische Lauf von Beddoes’ seltsamem Leben ihm nach dem tragisch frühen Tod seines geliebten Vaters vom Gefühl diktiert wurde, nur Treibgut zu sein. Laut Sam wird nun ein Aspekt dieser Suche des Dichters nach Möglichkeiten, die von dieser mächtigen Persönlichkeit hinterlassene Lücke auszufüllen, durch Wolfram symbolisiert; er findet Trost, indem er nicht den Mörder seines Vaters tötet, sondern aus ihm eine Art Ersatzvater macht. Hinsichtlich der Geschlossenheit des Stücks weist diese Suche leider viele andere, oftmals einander widersprechende Aspekte auf, die jeweils von Zeit zu Zeit dominieren, was sowohl die Handlung als auch den Ton des Stücks sehr verwirren. So ist der Tod abwechselnd ein Narr und Spaßvogel oder Spott und Spaß selbst, ein erbitterter Feind und ein verführerischer Freund. Keats, werden Sie sich erinnern, behauptete, er sei
halb verliebt gewesen in den erleichternden Tod
. Für unseren Tom gab es dieses leisetreterische Drumherumreden nicht. Für ihn zählte nur die alles vereinnahmende Leidenschaft!
    Zurück zu meinem Konferenzdebüt. Ich beendete meinen Vortrag, ohne allzu viel zu stottern, schaffte es sogar, einige eigene Bemerkungen einzuflechten, und nahm schließlich die Fragen entgegen. Albacore tat sich als Erster hervor, seine Fragen waren wohlabgewogen und ließen mir jede Möglichkeit zu glänzen. Daraufhin führte er die Sitzung wie ein erfahrener Zirkusdirektor, leitete, ermutigte, besänftigte und hielt mich immer im Mittelpunkt des Geschehens. Danach gratulierten mir alle, deren Gratulation ich mir sehnlichst erhofft hatte. Nicht jedoch Albacore. Er näherte sich mir nicht, nur gelegentlich erhaschte ich seinen Blick in der Menge und erhielt ein freundliches Lächeln.
    Mir war klar, was er tat: Er zeigte mir, wozu er fähig war.
    Und ich entdeckte durch Zuhören und Fragen einige interessante Dinge über die aktuelle Lage. Am God’s ist der Rektor der oberste Boss; der gegenwärtige Amtsinhaber ist wohl eine unnahbare, schwache Person, sodass die eigentliche Macht in Händen seines Stellvertreters liegt, des Dekans. (Der Quästor wird hier übrigens
Bursar
genannt.) Albacore fungiert im Moment als Vertreter des Rektors, der sich auf einem dreimonatigen Sabbatical an der Universität Sydney aufhält. (Sydney, um Gottes willen! Mitten im englischen Winter! Diese Jungs wissen, wie man die Dinge zu arrangieren hat!) Bei seiner Rückkehr wird er sein letztes Amtsjahr antreten. Natürlich gehört Albacore zu den Bewerbern um den Job, doch die Nachfolge, man ist hier schließlich in Cambridge, ist noch lange nicht in trockenen Tüchern. Ein wichtiges, erfolgreiches Buch, das gerade zum Höhepunkt des Wahlkampfs erscheint, würde sich sehr nützlich machen, um das Wahlvolk (d.h. die Dozenten, sprich die Dons vom God – klingt wie die Vatikan-Abteilung der Mafia, oder?) davon zu überzeugen, dass Albacore akademisch noch so einiges zu bieten hat. Außerdem könnte er durch den erhofften kommerziellen Erfolg demonstrieren, dass er über ein

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