Die Laute (German Edition)
wieder ganz in Weiß. Auf der schmalen Rückbank liegt ein sandfarbenes Leinenjackett. Dabei ist es noch viel zu kalt für Sommerkleidung. – Im Gesicht trägt er eine altmodische, zweifellos teure Sonnenbrille. Sieht damit aus wie ein französischer Schauspieler in den frühen Siebzigern. Ich passe nicht recht auf den Beifahrersitz. Eigentlich gehört eine junge blonde Frau mit einem weißen Kopftuch dorthin und nicht dieser schwarze Lockenkopf mit der olivbraunen Haut, die jetzt, in den ersten sonnigen Märztagen, noch dunkler wirkt.
Wir fahren aus der Stadt heraus, immer am Weichselufer entlang. Ich frage ihn nicht, wo die Fahrt hingehen soll. Missmutig sitze ich neben ihm und starre auf das brackiggrüne Weichselwasser. Der Himmel klart langsam auf, und kleine bleigraue Inseln schwimmen wie Quecksilberlachen auf dem Grün.
Auch Rafał ist schweigsam, aber in keiner Weise übellaunig. Er scheint die Fahrt zu genießen. Der CD-Player läuft, er hört Musik. Ich höre nichts. Die Motorengeräusche überdecken die Vibrationen der Lautsprecher. – Meinen Missmut nimmt er gelassen hin.
Die Hügel um Krakau sind nicht sehr hoch, geben der Landschaft aber eine sanfte Dramatik. Auf jeder Bergkuppe leuchtet eine mittelalterliche Kirche oder ein barockes Kloster in hellen Erdtönen. Es ist ein sanftmütigerer Gott, der hier verehrt wird, als in den schroffen und kargen Bergen um Ibb.
Nach kaum einer halben Stunde Fahrt machen wir bereits die erste Rast. Auf einem Felsen vor uns, direkt am Weichselufer, thront die Benediktinerabtei von Tyniec. Von außen wirkt sie wie eine Festung oder Burg. Seit tausend Jahren steht sie hier, nicht nur zur Ehre Gottes, sondern auch zum Schutz für die Königsstadt Krakau.
Wir gehen zu Fuß zur Klosterburg hinauf und treten durch ein offenes Tor in der Festungsmauer in einen großen, zur Weichsel hin offenen Hof. Hier dient die Mauer nur noch dazu, die Unruhe der Welt von diesem Ort fernzuhalten. Und der Blick Richtung Westen, auf die baumbestandenen Hügel am gegenüberliegenden Ufer, lässt verstehen, warum Menschen sich hierher zurückziehen. Nicht, um sich ein Leben lang einzumauern, sondern um den Blick auf das Wesentliche freizuhalten.
Wir setzen uns auf die niedrige Bruchsteinmauer an der Uferseite, die direkt aus dem fast senkrechten Felsen, auf dem die Abtei errichtet wurde, herauszuwachsen scheint.
Wir sitzen lange wortlos da, und mein Missmut wird zur Trauer. Worüber ich, an diesem so behüteten Ort, plötzlich traurig bin, kann ich nicht sagen.
Dann beginnt Rafał zu gebärden, nicht ungeschickt und fehlerhaft, sondern so selbstverständlich, als habe er sich ein Leben lang auf diese Weise unterhalten.
»Wann hast du angefangen, Gebärdensprache zu lernen?«
»In den letzten Monaten. Aber ich bin wohl noch recht ungelenk in meinen Gebärden, nicht wahr?«
Ich spare mir das Kompliment und frage: »Und warum lernst du gerade Gebärdensprache?«
»Warum wohl? Natürlich, um mich leichter und ohne entflammbare Notizzettel, bekritzelte Servietten und fleckige Bierdeckel mit dir unterhalten zu können.«
»Ich habe nicht viel zu sagen.«
»Na und? Das Wenige muss ja auch nicht komplizierter als nötig sein, oder?«
Nach einer Weile fährt Rafał fort: »Es ist schön, dass wir mit unseren Gebärden die Stille dieses Ortes nicht stören.«
Ja, auch für mich ist es hier sehr still. Die Straßen sind so weit entfernt, dass ich keinerlei Erschütterungen spüre. Es weht kaum ein Wind, und das trübe Brackwasser der Weichsel scheint still zu stehen. Dieser Felsen, auf dem wir sitzen, ruht tief und fest in seiner Erde.
»Es gibt Klöster, in denen sogar jedes Sprechen untersagt ist und die Mönche sich ausschließlich mit Gebärden verständigen«, gebärdet Rafał. Und ich sehe seinem Gestenspiel gerne zu. Es hat, wie die menschliche Stimme, seinen eigenen Tonfall. Rafałs Gebärden sind kräftig und entschieden, ohne die Unsicherheit des Anfängers.
»Lass uns aufbrechen, Asis. Ich möchte dir noch einen anderen Ort zeigen«, gebärdet er dann. »Wir können, wann immer du willst, hierher zurückkommen. Es ist ja nicht weit.«
Nun geht die Fahrt Richtung Süden, auf die Hohe Tatra zu. Wieder sitzen wir schweigend nebeneinander. Aber diesmal ist es ein anderes Schweigen, nicht trotzig, bedrückend, sondern in gewisser Weise einvernehmlich. Wir bewegen uns gemeinsam fort, schauen in dieselbe Richtung und müssen nicht jedes gemeinsame Empfinden durch eine besondere
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