Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roes
Vom Netzwerk:
sollte ich arabische Sprechmelodien einbeziehen, allein durch die Fremdheit der Betonungen, sodass sie nur leise und verstörend, wie durch Mauern gedämpft, hörbar werden.
    âuwal min scharq
(der erste aus dem Osten)
    iftah al-bab
(macht das Tor auf)
    beit al-wasat mahbûs
(Haus in der Mitte ein Gefängnis)
    dschililil dschâja
(komm und suche mich)
    hâfith wa-mansûr
(Behüter und Sieger)
    ath-thaib ja al-mahdschar
(der Wolf! auf zur Burg!)
    sab’a al-hadschar
(sieben Steine)
    sab’a sadsch
(sieben Schilde)
    Erst nach dem es geschrieben steht, begreife ich, dass jede Zeile der Name eines Spiels aus meiner Kindheit ist.
    »Ist ein bestimmter Klang noch Musik, der vor allem aus Aktionen besteht, deren Resultate immer wieder neu und unvorhersehbar sind?«, frage ich meinen Lehrer.
    »Die musikalische Erfindung war immer mit den zur Verfügung stehenden Instrumenten und ihrer Spieltechnik verknüpft«, antwortet Adam mit klar verständlicher Stimme, als habe der zweite Schlaganfall die Lähmungen des ersten wieder aufgehoben. »Will man neue Klänge, braucht man neue Instrumente.«
    »Ist das Gebiet der Elektroakustik nicht gerade aufgrund seiner unbegrenzten Freiheiten in Gefahr, nur noch beliebig zu klingen? Was ist Zufall, was notwendiger Klang?«
    »Die Erforschung der musikalischen Sprachen steht immer noch ganz am Anfang, Asis!«
    Im Radio läuft sein Stück
Akkordarbeit
für Bass, Trommel und ein Gerüst hängender Metallrohre. Er hätte es aufnehmen und später anhören können, aber er hat darauf bestanden, der Livesendung im Radio zu folgen, als mache das irgendeinen Unterschied.
    Wir schweigen während des Konzerts. Die Zeit vergeht schnell, wenn man sich nicht ständig belauert. Das makellose Weiß der Wände lässt mich an mein Bühnenbild denken. Oder an den Tod.
    Ich weiß nicht, wer von Aphasie gesprochen hat, ich höre Adams Stimme klar und fehlerlos. »Jedes Mal, wenn ich aufs Äußerste ziele, bereue ich es am Ende«, sagt er resigniert.
    Ich widerspreche: »Nur radikale Lösungen sind beachtenswert!«
    Adam lächelt. »Weder elektronische Instrumente noch Klangerzeuger vom Müllplatz garantieren eine fortschrittliche Musiksprache«, sagt er. »Bestimmte Klangexperimente sind nicht beliebig fortsetzbar, weil auch sie auf die Wiederholung oder Variation längst verbrauchter Ideen hinauslaufen.«
    Ich versuche, mich von Adams Resignation nicht anstecken zu lassen. Eine kurze, gefräßige Störung Bogdans, der sich offenbar nur noch von Lärm ernährt, gibt mir den nötigen Widerspruchsgeist dazu.
    »In
Marsyas
treffen zwei vollkommen verschiedene und unabhängige Teile aufeinander,« erkläre ich ihm, »eine nicht materialgebundene Notation, die man ›Diagramme‹ nennen könnte, Diagramme der Zeit, der Dichte, des Ablaufs, Notate, die sich nur auf sich selbst beziehen, und Klangereignisse, die nur noch reines ›Material‹ sind. Die Diagramme können auf jedes Klangereignis angewendet werden, ohne auch nur einen Augenblick die Notwendigkeit ihres Daseins in der Konfrontation mit dem musikalischen Material beweisen zu müssen. Sie sind schlichte Gebrauchsanweisungen ohne Rücksicht auf die wechselseitigen Beziehungen zwischen Material und Struktur.«
    Adam hat mir still zugehört, ohne meine Erklärungen auch nur durch ein Heben der Augenbrauen oder ein Runzeln der Stirn zu unterbrechen. Nun sagt er, eher nachdenklich als widersprechend: »Ein Werk wie die Oper, die man zweifach wahrnehmen kann, sehend und hörend, ist auch doppelt gefährdet. Klänge, die man durch Handlungen und Texte zu deformieren bereit ist, müssen dann besondere Bedingungen erfüllen, denn in Verbindung mit einem Libretto sind es keine reinen, absoluten Klänge mehr.«
    »Mag sein, doch der Hörer soll den Eindruck gewinnen, die Deformation beruhe allein auf der zufälligen Anwendung dieser Diagramme auf ein Material, das nicht zu diesen Diagrammen, ja nicht einmal zur Idee eines Diagramms passt.«
    »Das ist alles Theorie, Asis. Eine gute Komposition aber lebt vor allem vom musikalischen Instinkt. Eine rein mathematisch oder aleatorisch durchorganisierte Musik wirkt auf den Zuhörer einfach nur langweilig.«
    »Auch meine graphische Kompositionstechnik beruht auf Intuition und Instinkt, Adam!«
    »Tut mir leid, Asis, es gibt keine direkte Synästhesie zwischen graphischer Notation und Klangbild. Mit einfacheren Worten: Es klingt nicht so, wie es aussieht!«
    »Aber es gibt Seelenverwandtschaften; Matisse – Ravel, Léger

Weitere Kostenlose Bücher