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Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roes
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meinem Kopf erzählt. Für ihn konnte ich damals nichts anderes als ein Freak sein, ein Krüppel, der sich mit seiner Behinderung nicht abfinden will.
    Aus dem gelähmten rechten Mundwinkel rinnt permanent ein dünner Speichelfaden. Ich reiche ihm ein Taschentuch. Er versteht. Er ist ein zäher und hartnäckiger Mann. In den letzten Monaten hat er mit der linken Hand ganz neu schreiben gelernt.
    Nun schreibt er: »Wahrscheinlich hast du nie eine Blockflöte gehört. Hier beginnt jedes Kind seinen Musikunterricht mit einer Blockflöte. Aber neun von zehn hören deswegen nach einigen Monaten auch wieder auf, denn eine Blockflöte klingt, als würde ein Kastrat mit chronischer Bronchitis pfeifen.«
    Auf seinem Gesicht spielt eine Grimasse, ein schiefes Lächeln, obwohl das Schreiben ihm Mühe macht. »Es ist gut, dass dein Marsyas keine Flöte spielt«, fährt er fort. »Ich werde die Ouvertüre zum Witold-Lutosławski-Wettbewerb für junge Komponisten einreichen.«
    Einen Augenblick lang weiß ich nicht, was ich entgegnen soll. Ich verabscheue Wettkämpfe. Es gibt keine objektiven Urteile. Andererseits will ich ihn nicht kränken. Vielleicht hat er ja wirklich etwas in meiner Musik entdeckt, das der Förderung würdig ist. Und eine Nominierung für den Lutosławski-Wettbewerb ist die höchste Ehrung für einen jungen Komponisten in Polen. Noch während er offiziell Medizin studierte, nahm Twardowski selbst, gerade einmal fünfundzwanzig Jahre alt, am Lutosławski-Wettbewerb teil. Er hatte gleich drei Werke anonym eingereicht.
    Damals musste er einen Pakt mit dem Teufel eingegangen sein, denn er gewann den ersten, zweiten und dritten Preis. Ein Jahr später reichten ihm dreizehn Minuten beim Festival für Neue Musik in Donaueschingen, die Türen zur Welt und zum Weltruhm aufzustoßen.
Tremor
hieß das Werk für sechs Streicher und sieben Percussionisten. Das Publikum lauschte wie hypnotisiert dieser zitternden, parkinsonschen Musik. Das Stück musste zweimal wiederholt werden. – Ich habe die Partitur immer wieder studiert, aber ihr Geheimnis nicht entdecken können.
    Von nun an kamen die Einladungen und Auftragswerke Schlag auf Schlag, die
Birkenau-Passion
1975, deren Uraufführung in Auschwitz-Birkenau ein weltweiter Skandal war, zwei Jahre später
Paranoia
, ein Klagegesang für Sopran, zwölf Celli und verschiedene Sirenen, den Opfern von Hiroshima und Nagasaki zugeeignet, im Jahr darauf
Ariadne
, Uraufführung wiederum in Donaueschingen, ein Werk für Eisen, Stahl, Glas und Motorsägen, vor dessen Premiere es einen Aufstand der Vokalisten und Schlagzeuger gab, die ihre Würde als Musiker und Menschen mit Füßen getreten sahen.
    Dann folgte die legendäre Aufführung seiner ersten Oper
Ferdydurke
nach dem berühmten Roman von Witold Gombrowicz an der New Yorker Met, in der er die Todsünde eines Avantgardekomponisten beging und die Partitur in C-Dur enden ließ. Von da an galt er allen Avantgardisten als Verräter und Lieblingskomponist der Bourgeoisie. Vielleicht war es ja Teil des Paktes, geliebt und gehasst gleichermaßen zu sein. Dem Teufel geht es da wohl nicht anders.
    Er trägt immer noch die große schwere Hornbrille, obgleich er seit dem Gehirnschlag auf dem rechten Auge blind ist. Sein grauer Vollbart verdeckt ein wenig die Asymmetrie des Gesichts, vor allem wenn er spricht und die linke Gesichtshälfte noch die Reste einer ehemals äußerst lebendigen Mimik zeigt.
    Das Konservatorium wollte ihn nicht als Schüler. Vor seinem überraschenden Erfolg beim Lutosławski-Wettbewerb hatte er nur den Geigenvirtuosen Stanislaw Darlak als Lehrer. Ihm hat er dann auch das letzte aufgeführte Werk,
Die Schröpfung der Welt
, ein Auftragswerk für das fünfzigjährige Gründungsjubiläum der Vereinten Nationen, gewidmet. Es war auch ein Geschenk an sich selbst. Er ist ja nur zwei Tage älter als die Vereinten Nationen.
    Das alles ist passiert, ehe ich hier ankam und er mein Lehrer wurde. Bevor Dr. Fuad mir von ihm erzählte, hatte ich den Namen Adam Twardowski nie gehört.
    Hier in Polen kennt jeder seinen Namen. Doch die wenigsten wissen, dass er noch lebt. Er ist eine ferne, von allen verehrte Legende, zumal es eine in irgendeiner Form einflussreiche Avantgarde längst nicht mehr gibt. Nun aber scheint der Teufel seine Schuld für den frühen Ruhm einzutreiben.
    »Mach mit meiner Partitur, was du willst. Ich lass dir den Ausdruck hier.« – Ich stehe auf, packe meinen Laptop ein und habe wie immer, wenn ich ihn

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