Die Laute (German Edition)
Frau mit kurzem krausen Haar, tritt aus der stummen Fangemeinde und fällt Apollon in den Arm, als er den ersten Stich in die Haut des Satyrs setzen will, in die rechte Ferse des kopfüber im Erlengeäst Hängenden. Apollon schaut sie erstaunt an. Noch überraschter starrt Marsyas aus seinen bereits blutunterlaufenen Augen auf diese unerwartete Helferin.
Die Nymphe hält dem Blick des Gottes stand, ja schlägt ihm mit der freien Hand ins makellose Antlitz.
Als habe dieser Schlag ihn zur Vernunft gebracht, lächelt der Gott, entwindet seine Hand mit dem Gerbermesser ohne große Anstrengung aus dem Griff der Nymphe, stößt ihr die scharfe Klinge zielsicher ins Herz und fährt dann ungerührt mit der Schindung des besiegten Gegners fort.
Fühle mich ausgeblutet und leer, eine universale Stille dröhnt in mir. Zwinge mich trotzdem zur Arbeit und sollte eigentlich keinen Raum haben, um über die Frage nachzudenken, warum jemand auch nur die geringste Lust haben sollte, mich berühren zu wollen.
Cześka mag es nicht, gelobt zu werden. Jedes Lob verpflichtet, hat sie einmal notiert, nachdem ich ihre Haut gelobt hatte, die immer trocken ist, selbst im Krakauer Juli und August, den grausamsten Monaten, selbst beim Sex, der immer unter einer Decke oder wenigstens unter einem Laken stattfindet.
Also loben wir einander nicht. Ebenso kritisieren wir einander nicht, vielleicht aus demselben Grund. Und vertrauen einander nichts Persönliches, Intimes an. Ich weiß nicht, ob sie noch andere Männer trifft oder was ihre Lieblingsfarbe ist. Und sie weiß nichts von mir außer dem, was meine Wohnung von mir preisgibt.
Ich glaube, Wörter erregen sie nicht. Ihr scheinen nur die Bilder wichtig, die Verkleidungen, die Spiele. Sie verbirgt ihre nackte Haut unter dem Laken. Sie küsst mich nicht, nicht auf den Mund. Irgendetwas stimmt mit meinen Lippen nicht. Vielleicht, weil ihre Taubheit sie an die Möglichkeit des Sprechens erinnert, an ihre eigene Stummheit, die sie hütet.
Sie lacht nicht. Niemals. Selbst wenn meine Berührungen sie kitzeln, lacht sie nicht, sondern dreht sich einfach weg.
»Was magst du an mir?«, frage ich sie einmal, obwohl ich es im Grunde gar nicht wissen will.
»Dass du mich so etwas bisher nie gefragt hast!«, lautet ihre Antwort. Ich hab es nicht besser verdient.
Was mag ich an ihr? Dass sie von einem Tag zum anderen fortbleiben könnte, ohne dass es mir weh täte oder ich sie auch nur vermissen würde.
Da ich keinen Laptop habe, bleibt sie nicht noch eine Weile neben mir liegen, sondern zieht sich rasch an, steckt die DVD mit ihrer wöchentlichen Schnipselsammlung ein und verlässt, grußlos wie immer, meine Wohnung.
Früher war meine Haut noch nicht dieses abgestorbene, seelenlose, vernarbte Pergament. Sofern ich mir überhaupt je Gedanken über sie gemacht habe. Und nun besteht ein Großteil meiner Arbeit, sei es am Libretto, sei es am Kindheitsroman, aus einer exzessiven Beschäftigung mit meiner eigenen Haut. In den Augenblicken undurchdringlichen Nebels oder umfassender Schwärze in meinem Kopf – und diese Augenblicke weiten sich inzwischen immer öfter zu gedankenlosen Minuten und Stunden aus –, drücke, kratze und schabe ich an meiner Brust, den Schultern, den Armen, am Hals und im Gesicht herum, spüre Unreinheiten und Entzündungen auf und rufe sie doch erst durch meine ständigen Fummeleien hervor. Eine Vulkanlandschaft voller roter Erhebungen, braunschwarzer Verkrustungen und verödeter Narbenkrater ist meine Brust. Sichtbarer Ausdruck meiner inneren Verödung. Meine Haut ist schon lange kein Schutzmantel mehr, sondern reine Schmerzhülle.
ZWEITES BILD
Marsyas und die Nymphe scheinen unersättlich. Sie vögelt, als ginge es um ihr Leben, denkt er. Er mag ein Satyr sein, aber seinetwegen muss sie sich nicht so verausgaben. Ihn würde bereits zufriedenstellen, wenn sie einander nur berührten.
Er möchte ihr Namen geben, aber wenn er in ihr Stöhnen flüstert: Meine Rose! oder Mein Bächlein!, sagt sie: »Halt den Mund!« Er würde sie gerne fragen, was sie sonst so treibt, ob sie noch andere Liebhaber habe oder mit anderen Männern schlafe, doch kaum hat er gefragt, ob er sie etwas fragen dürfe, sagt sie: »Je mehr du von mir weißt, umso eher wirst du mich verlieren.«
Und während sie ihm die Seele und den Verstand aus dem Leib fickt, steht Apollon hinter dem Stamm der Erle (Pappel, Platane …), deren gerade, armdicke Äste er sich bereits als Schindbalken ausgesucht
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