Die Laute (German Edition)
gelesen.
Ich nicke missmutig. Erwarte jetzt nur keine Dankbarkeit von mir, tapferer Delawarenhäuptling! Habe dich nicht um deine Heldentat gebeten!
Er zieht einen Füllfederhalter und einen Terminkalender aus der Innentasche seines Jacketts und schreibt mit einer, selbst hier im unzureichenden Parklicht, außerordentlich klaren, ja druckreifen Schrift: »Wo ist dein Laptop?«
Ich zucke gleichgültig mit den Achseln. Spüre immer noch die schmerzhaften Griffe.
»Fehlt sonst noch etwas?«
Blöde Frage! Alles fehlt! Weiß gar nicht, womit ich anfangen soll. Allein der Ärger und die Rennerei, bis ich neue Papiere habe! Das kannst du dir gar nicht vorstellen! Ein Griff zum Handy, und für dich wäre die Sache erledigt.
Als ich nicht antworte, sitzt er einfach eine Weile da, in Gedanken versunken, doch ohne jede Unruhe.
»Kann ich dich irgendwo hinbringen?«, schreibt er dann.
»Wirst du nicht erwartet?«
Er lächelt. »Nein. Meine Mutter ist längst daheim.«
»Bis zur nächsten Bushaltestelle«, schreibe ich mürrisch.
Nun lacht er so laut auf, dass die Bank erzittert. »Der nächste Bus fährt um fünf. Und dann? Willst du barfuß gehen?«
Und wenn schon! Bin meine ganze Kindheit lang barfuß gegangen. Ich schüttle entschieden den Kopf. Er steckt den Füllfederhalter und den in feines schwarzes Kalbsleder gebundenen Kalender ein, steht auf und berührt mich leicht am Arm.
»Komm, mein Wagen steht gleich dort drüben!«
Warum ist er noch einmal hergekommen, nachdem er seine Mutter nach Hause gebracht hat? – Ich stelle ihm die Frage nicht. Während der ganzen Fahrt schaue ich ihn kein einziges Mal an. Ich lasse ihn am plac Centralny halten. Es reicht schon, dass er nun weiß, dass ich in Nowa Huta wohne. Er muss nicht auch noch Straße und Hausnummer erfahren.
Er besteht nicht darauf, mich noch weiter zu bringen. Hält mich aber kurz zurück, als ich aussteigen will, und zieht noch einmal Füller und Kalender hervor und schreibt zwei Sätze in seiner klaren, gut lesbaren Handschrift. Dann reißt er das Kalenderblatt aus dem teuren Büchlein, reicht es mir und nickt mir zum Abschied freundlich zu.
Ich hätte das Blatt gleich zusammenknüllen und in den Rinnstein werfen sollen. Doch dann interessiert mich doch, was er geschrieben hat, nicht so sehr aus Neugier, sondern eigentlich nur, um meine Einschätzung seines Charakters bestätigt zu finden. Unter der einzigen noch funktionierenden Straßenlaterne vor meinem Wohnblock glätte ich das Blatt und lese: »Wie sehr ich die Juryentscheidung bedaure, Asis! Der Beste hätte gewinnen sollen!«
Nieselregen. Ich nenne dieses Phänomen das typische Nowa-Huta-Plastikplanenwetter, weil diese ganze Stadt grau und konturlos wie durch eine nasse Plastikplane vor den Augen aussieht. Aber vielleicht ist es ja nicht die Stadt, die in dieser Plastikplane steckt, sondern nur mein Kopf.
Bin auf dem Weg zur Reinigung in der Obrońców Krzyża, direkt neben dem Nowa-Huta-Außenposten des Ludowy-Theaters, denn so kann ich Adam seinen Anzug nicht zurückbringen. – Am Kiosk in der Czuchajowskiego kaufe ich die
Gazeta Wyborczka
. An diese Verkaufs- und Kassierschlitze habe ich mich noch immer nicht gewöhnen können, gerade breit genug für die zusammengerollte Zeitung oder eine Halbliterflasche Trinkschokolade, doch fast schon zu schmal für eine fettere Hand mit einem Bündel Złoty-Noten. Nie sieht man die Gesichter der Verkäufer oder Verkäuferinnen, allenfalls die abgekauten und grellrot lackierten Fingernägel.
Im Suq von Ibb war alles offen. In den meisten Läden gab es nicht einmal Theken, geschweige denn Gitter oder Panzerglas. Allerdings arbeiteten dort ausschließlich Männer. Und wer weiß, ob die Läden in Ibb oder Aden nicht auch diese Sehschlitze einführen würden, wenn Frauen hinter den Schubläden mit dem Wechselgeld stünden.
Eigentlich bin ich ganz froh, den Besuch bei Adam noch aufschieben zu können, zumindest so lange, bis der Anzug wieder vorzeigbar ist. Hätte ihn auch in die Schnellreinigung am plac Centralny bringen können. Wahrscheinlich weiß Adam ohnehin längst über den Wettbewerbsausgang Bescheid.
Doch das ist gar nicht der Grund, warum ich Adam nicht vor die Augen treten will. Der Wettbewerb ist mir vollkommen egal. Zwei Tage vor dem Lutosławski-Wettbewerb indes war ich zur Uraufführung seines neues Klarinettenkonzerts in der Krakauer Philharmonie. Ich weiß nicht, ob Adam mich gesehen hat. Eingeladen hatte er mich jedenfalls nicht.
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