Die Laute (German Edition)
könne als der Faun. Die einzige Schuld des Marsyas besteht darin, seinem Publikum nicht zu widersprechen. Es ist eine spätere Verfälschung, dass
er
den Gott zum Wettkampf herausforderte. In Wirklichkeit ist es der eifersüchtige Gott, der den Kampf verlangt und von Anfang an beabsichtigt, den Rivalen zu vernichten: Der Sieger solle dem Verlierer jede Strafe auferlegen dürfen, die er wolle. – Noch hat Marsyas keine Vorstellung davon, zu welchen Grausamkeiten gekränkte Eitelkeit einen Gott verleiten kann.
Zunächst sind selbst die parteiischen Musen von beider Spiel gleichermaßen entzückt. APOLLON lässt die Maske jeder Fairness fallen und verlangt:
Tu mit deinem Instrument dasselbe
Wie ich mit meinem dreh es um
Und sing und spiel zur gleichen Zeit
Das alles singt und spricht Apollon mit der sanften, wohltönenden Stimme eines Lieblings der Musen. Er gilt als erster Gott, der einen Menschen gleichen Geschlechts umwarb, Hyakinthos. Aber womöglich verbirgt sich hinter dem Wettstreit mit Marsyas ja auch bereits ein geheimes, wenngleich sadistisches Verlangen. Alle Rivalen in seinem Werben um andere Männer und Frauen lässt er listenreich und manchmal sogar heimtückisch beseitigen.
Wie gelingt es späteren Generationen, diese Schandtaten eines Gottes, allen voran sein Verbrechen an Marsyas, als gerechte Strafe für die Hybris des Menschen umzudeuten?
Hybris
meint Hochmut, Stolz, Überheblichkeit, Vermessenheit, doch finde ich das alles nur beim Gott Apollon. In Marsyas entdecke ich allenfalls jugendlichen Überschwang und eine fatale Arglosigkeit, zumindest jenem Gott des Lichts gegenüber, also das Gegenteil von Hybris, nämlich ein zu großes Gottvertrauen.
Und warum diese grausame Strafe? Warum reicht dem Gott der Sieg nicht, warum will er auch noch den Tod des Gegners? Nicht nur den Tod, nein, er will eine Trophäe, ein sichtbares Zeichen seines erlisteten Sieges, die Haut des Rivalen, die er sich nun selber überstreifen und mit der er sich ein menschliches Antlitz geben kann.
Vielleicht will er wie ein grausames Kind auch einfach nur sehen, was darin steckt, was unter der Haut des anderen liegt und Mensch und Gott, List und Talent unterscheidet.
Wer ist jünger? Marsyas kann nicht älter als ein Mensch zwischen Kindheit und Jugend sein. (Zählt ein Satyr oder Silen überhaupt zur Gattung der Menschen?) In Apollons Sozialisation hingegen muss irgendetwas schrecklich schief gegangen sein: Ein vollkommener göttlicher Körper birgt ein krankes, unreifes Hirn.
Alle Darstellungen der Schindung des Marsyas zeigen die unerträgliche Grausamkeit des Aktes, aber keiner der Künstler schlägt sich auf die Seite des Gemarterten und klagt den Gott an! Immer steht im Zentrum der leuchtende, wohlgestaltete Gott mit dem Körper eines Athleten und dem Kopf eines Kindes, und der Silen ist nicht mehr als ein anatomisches Schauobjekt, als handle es sich nur um die Enthäutung eines Tiers oder das Entrinden eines Baums.
APOLLON
Ich habe es getan einmal alle tausend Jahre
Hautlicht warm gemütlich durch die abgebalgte
Bernsteinfarbne Menschenhaut nun dein großer
Striptease war nicht ganz freiwillig junger Freund
Doch deshalb noch nicht unerotisch gib es zu
Sie war dir doch schon lang zu eng geworden
Der Mensch hat viele Häute abzustreifen bis er
Lernt dass auch die letzte keinen Gott umhüllt
Mögt ihr euch mit uns auch immer wieder messen
Wir sind mit unsrer lichten Götterhaut verwachsen
Götter bleiben jung stark blendend werfen keine
Rinde ab kein Fell und keine Haut sind immer
Nackt
Der enthäutete Gott ist kein Gott mehr, der enthäutete Mensch aber Mensch in seiner verletzlichsten Gestalt.
FÜNFTES BILD
Es braucht mehr Mut, bei der Suche nach Wahrheit an der Oberfläche stehen zu bleiben, als in die vermeintliche Tiefe vorzudringen.
Die Wahrheit ist eine Haut, die Gründe hat, ihre Gründe nicht sehen zu lassen. Jedes tiefere Ein- und Vordringen würde sie zerstören.
Die Griechen, schreibt Nietzsche, taten gut daran, tapfer bei der Oberfläche, der Falte, der Haut stehen zu bleiben, den Schein anzubeten, an Formen, an Tönen, an den ganzen Olymp des Scheins zu glauben! Die Griechen waren oberflächlich aus Tiefe!
Dem entsprechend wäre Apollon kein griechischer, sondern ein moderner, aufgeklärter, wahrheitssüchtiger Gott, ein monotheistischer, ein Wissenschaftsgott, der keine andere Wahrheit neben sich duldet.
Eine der Nymphen aus dem Gefolge des Marsyas, eine eher kleine, stämmige
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