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Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roes
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Der Meister saß im Rollstuhl vor aller Augen im Mittelgang, direkt vor dem Podium. Er hätte dem Dirigenten und dem Pianisten die Hand geben können, ohne aus dem Rollstuhl aufstehen zu müssen.
    Einige Novizen im Publikum, vielleicht auch nur Touristen, klatschen nach jedem Satz, womöglich aus echter Ergriffenheit. Tadelnde Blicke aus dem Publikum. Die Orchestermusiker verharren wie eingefroren in ihrer Haltung des Atemholens.
    Von der Qualität des Konzerts bekomme ich nicht viel mit. Überwiegend Streicher, wenig Percussion. Dann, nach den Anfangstakten des Finales, bricht ein Fagottist auf seinem Stuhl zusammen und reißt, während er zu Boden stürzt, mehrere Notenpulte mit sich. Nach einem kurzen Augenblick absoluter Stille plötzlich ein großes Durcheinander. Ich sehe, wie die anderen Holzbläser sich um den Kollegen scharen und einer ihm die schwarze Fliege löst und die obersten Knöpfe des Frackhemdes öffnet. Dann bahnt sich der Dirigent, gefolgt von der Ersten Geige eine Gasse durch die Musikerschar, fühlt den Puls des gar nicht mal alten Fagottisten und behält auch dann die Hand des jungen Mannes in seiner Dirigentenhand, als vier Blechbläser ihn mit der Zärtlichkeit, mit der sie sonst nur ihre Hörner und Tuben berühren, vom Podium hinunter ins Foyer tragen. – Alles in allem also ein recht berührendes Konzert.
    Gestern dann beginnt das Große Schlachten. Der Musikredakteur der
Gazeta Wyborczka
wirft Twardowski Effekthascherei und Selbstzitat vor. Er knüpfe nun an jene Stilrichtungen an, die er in seiner Avantgardezeit noch verdammt habe. In der
Gazeta Krakowska
ein Einspalter, von einem jungen unverschämten Federfuchser, der bisher nur durch seine süffisanten Restaurantkritiken im Lokalteil der Zeitung aufgefallen ist. Er schreibt, er habe sich gelangweilt. Seit wann ist ›Langeweile‹ ein musikkritisches Richtmaß? Wer mich nicht liebt, darf mich nicht beurteilen! schrieb vor zweihundert Jahren bereits ein anderes gekränktes Genie. Musikkritik! Aufführungskritik, in Ordnung, eine schlampige Aufführung foltert nicht nur das Ohr des Zuhörers, sie denunziert auch die Komposition und den Komponisten. Aber Kritik an der Komposition? »Schon nach zwei Takten fielen mir vor Langeweile die Augen zu!« Was für ein parasitäres Gewerbe diese Art von Kritik doch ist! Und was für ein unfairer, asymmetrischer Kampf, hier der Künstler, der monate-, jahrelang mit der Widerspenstigkeit seines Materials ringt, dort der gelangweilte Kritiker, der in der Premierenpause seinen Verriss ins Diktatofon spuckt!
    Heute nun ein Interview mit Twardowski in der
Gazeta Wyborczka
, in dem Adam mit der gesamten polnischen Kultur der letzten zwanzig Jahre abrechnet. Sie sei ein einziger Misthaufen aus Selbstmitleid, Opportunismus und religiöser Schwärmerei. Und die Kulturkritik sei nicht viel besser, ja für einen Großteil dieses Niedergangs mitverantwortlich … Zweifellos hat die schroffe Ablehnung seines Klarinettenkonzerts Adam gekränkt. Und ich habe nie gelernt, ehrlich mit gekränkten Menschen umzugehen. Ich wüsste nicht, was ich antworten sollte, wenn er mich nach meiner Meinung zu seinem letzten Werk befragen sollte. Wahrscheinlich würde er nicht einmal fragen. Was bedeutet schon die Meinung eines tauben und erfolglosen Schülers! Nein, ich will ihm einfach nicht in dieser aufgebrachten Stimmung begegnen.
    Die Ohnmacht des Fagottisten. Sobald ich wieder zu Hause bin, skizziere ich ein kleines Konzertstück für Bongos, Programmierer und einen Ohnmächtigen Holzbläser als Zwischenspiel zwischen Viertem und Fünftem Bild.
    VIERTES BILD : DIE LIST
    Im Mythos heißt es, Apollon schlage Marsyas tückisch eine Verschärfung des Wettkampfs vor. Der übermütige Satyr zeigt sich angesichts seiner Überlegenheit großzügig und stimmt zu. Apollon fordert, sie mögen ihre Instrumente umdrehen! Wie genau muss ich mir das vorstellen?
    Das Ergebnis ist offenbar, dass Apollon die umgedrehte Laute noch zu spielen vermag, doch Marsyas seine Flöte nicht.
    Hat der Gott diese dreiste List nötig, um gegen Marsyas zu gewinnen? Auf jeden Fall ist er von nun an der schlechtere Spieler!
    Apollon hat bereits dem ziegenbeinigen Pan mit List das Geheimnis der Kunst des Prophezeiens abgeluchst und das Delphische Orakel übernommen. Was war noch einmal sein eigenes Verdienst, außer ein uneheliches Kind von Zeus zu sein?
    Im Mythos sind es die Zuhörer, die rufen, dass selbst Apollon nicht schönere Musik erklingen lassen

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