Die Laute (German Edition)
zertrümmern.
Doch am schlimmsten sind nach wie vor die Geräusche (oder ihre taktilen Echos), die mich unerwartet überfallen und aus der Stille reißen, ein Rumpeln, Poltern, Knallen, Donnern, Explodieren oder auch nur Rumoren. Ja, vor allem das diffuse, nicht identifizierbare Rumoren treibt mich geradezu in den Wahnsinn.
Alle von mir nur gespürten Lärmausläufer wirken absichtsvoll und deshalb beunruhigend auf mich. Je stiller, desto beunruhigender. Unter all diesen Geräuschen gibt es keine angenehmen oder gar besänftigenden mehr. Alle lassen mich zusammenfahren, und manche wecken Selbstmordgedanken oder Mordpläne, sehr konkrete und realistische Mordpläne in mir.
Manchmal habe ich den Eindruck, als trieben die Geräusche ihr bösartiges Spiel mit mir. Ich kann ihre Quelle nicht genau orten. Dabei ist das Gehör – mehr noch als das Auge – unser Raumsinn. Alles wirkt auf einmal bedrohlich nahe, mir auf den Leib gerückt, im Nacken sitzend. Mit dem Verlust meines Gehörs hat der Lärm nicht abgenommen, sondern ist angeschwollen, doch ohne dass ich noch zwischen beruhigenden und beunruhigenden Klängen unterscheiden könnte.
So kann es nicht weitergehen. Elena Towarzystwa muss weg!
Meine Mutter hätte es mit einem Amulett versucht. Sie wäre zu einem Marabu, einem Heiligen gepilgert. Dieser hätte, nach einer großzügigen Spende, den Wunsch meiner Mutter auf ein Stück Papier geschrieben, einige Koranverse darüber gemurmelt und es entweder meiner Mutter zu essen gegeben oder es verbrannt.
Und nicht selten hat der Zauber tatsächlich funktioniert. Wenn es nach meiner Mutter gegangen wäre, hätte man mich nach dem
Ereignis
nicht ins Krankenhaus, sondern zum Marabu in Dschiblah gebracht. Er hatte mich schon einmal geheilt, als ich nach der Geburt meiner jüngeren Schwester wieder begann, ins Bett zu pinkeln. Ich erinnere mich gut an den Besuch, weil er nicht nur Zettelchen schrieb und verbrannte, sondern weil er einen geweihten Bindfaden um mein Gliedchen knotete und meiner Mutter auftrug, mir diesen Faden nun mindestens einen Monat lang jeden Abend umzubinden und erst am Morgen wieder abzunehmen. Schon nach wenigen Minuten begann mein abgeschnürtes Glied unerträglich zu schmerzen. – Wenige Wochen nach ihrer Geburt starb mein Schwesterchen dann, und die Bettnässerei hörte von einem Tag zum anderen auf.
Ich schreibe Elena Towarzystwas Namen in arabischen Schriftzeichen auf ein Stück Papier, spreche darüber die Eröffnungsverse der Sure
Die Kuh
, dann verbrenne ich das Papier über dem Ausguss in der Küche und spüle die Asche fort.
An diesem Abend erschüttert ein so heftiger Streit in der Wohnung über mir das ganze Haus, dass ein besorgterer Mieter als ich die Polizei und vielleicht sogar den Notarzt gerufen hätte. Ich habe den Eindruck, dass Möbel umgestürzt werden und ungebremst auf den Betonboden knallen. Womöglich sind es auch nicht nur Stühle und Tische, obwohl es ein unterschiedliches Beben hervorruft, wenn Holz auf Beton kracht oder Fleisch.
Ich ahne bereits, dies wird nur die erste von vielen Nächten häuslichen Unfriedens sein. Es ist selbst in Nowa Huta nicht leicht, eine neue Wohnung zu finden. Man kann nicht einfach ausziehen, es sei denn, man kehrt zu seinen Eltern zurück. Sonst bleibt nur, den täglichen Streit auszuhalten oder sich eine Parkbank zu suchen. Doch selbst freie Parkbänke sind in Nowa Huta knapp.
Ein Marabuzauber braucht seine Zeit. Es genügt nicht nur das Zerkauen oder Verbrennen des Feindes, auch etwas Eigenes muss eingeschnürt, abgebunden, geopfert werden. Also werde ich freiwillig Zusatzschichten am Flughafen übernehmen, denn nachts wird in nächster Zeit an Schlaf nicht mehr zu denken sein. Erst wenn Elena um sieben Uhr dreißig einigermaßen zurechtgeschminkt zu ihrem Damensalon in die aleja Solidarności aufbricht, wird für ein paar Stunden wieder Ruhe ins Haus einkehren.
Und dann, nach zwei Monaten vielleicht, werde ich eines Morgens vom Flughafen zu meinem Wohnblock zurückkommen, und ihr Name am Briefkasten im Hausflur wird durchgestrichen sein. Zufällig begegnen Bogdan und ich uns dort. Sein Arbeitsrhythmus als Hacker und Spammer ist zu unberechenbar, als dass ich ihm gezielt aus dem Weg gehen könnte. Nach unserem letzten Treffen vor Wochen scheint er noch blasser geworden zu sein. Diesmal nickt er nicht einmal, sondern schaut mir nur mit einem rasiermesserscharfen Blick direkt in die Augen, als wisse er von meinem Marabuzauber.
Er
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