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Die Lava

Die Lava

Titel: Die Lava Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Magin
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Inbrunst.
    »O Erdmutter«, wiederholte die Gruppe ehrfurchtsvoll, »schenke uns Wasser, wenn uns dürstet, schenke uns Wärme, wenn uns friert, schenke uns Stein, um uns ein Haus zu bauen!«
    »Antworte uns, o große Mutter! Schenke uns deine Kräfte!«
    Ein junger Mann mit langer Mähne und ein paar Bartstoppeln über das gesamte Gesicht verteilt, zu jung, um noch an den Oberarmen oder auf dem Rücken tätowiert zu sein, lachte einen Tick zu laut. Er japste nach Luft.
    Dann verstummte er.
    Der Boden vibrierte leicht, so wie bei den vielen Mikrobeben, die sich zurzeit ereigneten, und die Menschen waren schon daran gewöhnt. Dann erwärmte er sich, fühlte sich feucht an, das Rumpeln nahm an Stärke zu.
    Wenig später quoll Wasser an die Oberfläche, bildete Pfützen und schnell auch Schlammlöcher, die Blasen warfen und brodelten wie ein Topf Suppe auf dem heißen Herd. Die Menschen stoben zur Seite.
    Mit einem Mal platzte die Grasnarbe, und das Wasser kam. Es quoll kochend heiß hervor, stieg in einer Fontäne in die Höhe. Wer noch nicht weit genug entfernt war, büßte seine Neugier mit schlimmen Verbrennungen.
    Anders als auf der schmalen Rheininsel, auf der den Flüchtenden kein Platz zum Rückzug zur Verfügung stand, rannten die schreienden Menschen in alle Himmelsrichtungen davon, niemand wurde niedergetrampelt und niemand verletzt.
    Aber der Geysir vom Laacher See war weder der Brubbel noch der Andernacher Sprudel – er quoll mit Getöse aus der Erde, aber er zischte nur mit einem dünnen Strahl nach oben und sackte, kaum dass er die drei Meter erreicht hatte, wieder in sich zusammen. Keine zehn Minuten dauerte es, bis der nächste Ausbruch folgte. Das Wasserreservoir, das von der Magma erhitzt wurde, war entweder nahe am Erdboden oder nur sehr klein. Aus einem brodelnden Topf, aus dem nach allen Seiten das Wasser über die Wiese schwappte, schoss der dünne Strahl, wie die Zuschauer mit Blick auf ihre Uhr feststellten, alle neun Minuten und achtundvierzig Sekunden nach oben – mal ein paar Sekunden früher, mal einige verspätet. Wer sich nur wenige Meter von der Wasserfontäne entfernte, befand sich bereits in Sicherheit. Die einzige Gefahr bestand in dem fast kontinuierlichen Gebrodel des heißen Wassers, das zuerst eine Pfütze und dann fast einen Sumpf voll mit schwarzem, schlammigem Wasser bildete.
    Das heiße Wasser weichte den Boden auf und verwandelte ihn in Matsch, der Untergrund wurde glitschig, als wäre er mit Schmierseife bedeckt. Wer barfuss ging oder nurBadeschlappen trug, stürzte zu Boden, versuchte aufzustehen und stürzte erneut. Viele holten sich erst jetzt Verbrennungen an den Händen und Beinen.
    Ein Kamerateam, das eigentlich den Beginn des Bergeunternehmens aufnehmen wollte, richtete seine Aufmerksamkeit auf das Naturspektakel, das sich vor ihren Augen entfaltete – und das damit seinen Platz in den Abendnachrichten garantiert hatte.
    »Was fühlen Sie«, fragte eine Reporterin einen alten Mann, der sich schlammbedeckt auf den asphaltierten Feldweg geflüchtet hatte, »wenn Sie das sehen?«
    »Das fühlt sich an wie das Ende der Welt«, antwortete der Gefragte mit ernstem Gesicht.
    Somit hatte das britische Team ein Problem weniger, nämlich die Zuschauer, die rasch zu ihren Autos flohen und die Wiese verließen; aber auch eines mehr: Eines der Szenarien, die der Nordengländer simuliert hatte, konnte nun Wirklichkeit werden.
    Neal bemerkte es als Erster. So gut es ging, ignorierte er sprachlos das Spektakel auf der Wiese. Er stand am Anlegesteg und schaute zu dem Boot. Joe kam zu ihm und verstand sofort: Wasser schwappte sanft im Boot, das nicht mehr vom Regen stammen konnte, mehrere Fingerbreit hoch, jemand hatte die Plane vom Außenbordmotor entfernt, sie lag zerknüllt im Bootsinneren.
    Ein Leck! Joe sah genauer hin und stellte fest, dass jemand die Bootshaut mit einem schweren Gegenstand durchschlagen hatte. Auch die Schraube des hochgeklappten Motors war mit schweren Schlägen beschädigt worden.
    »Das ist schon der zweite Ausfall nach dem Side-Scan-Sonar«, meinte Neal grimmig.
    »Zum Glück brauchen wir das Boot nicht mehr«, meinte Joe. »Der Vorderteil des Wracks liegt im knietiefen Wasser,das Schwanzende ein paar Meter tief und alles nahe genug am Ufer. Aber trotzdem – wer tut das und warum?«
    Darauf wusste auch Neal keine Antwort. »Wir sind jemandem ein Dorn im Auge, das ist sicher.«
    »Den Typ, der den Kran manipuliert hat, haben sie ja geschnappt. Der kommt

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