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Die Lava

Die Lava

Titel: Die Lava Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Magin
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die still und geduldig hinter der Absperrung wartete.
    »Ich habe eine gute Nachricht«, sagte Franziska. »Der Brubbel sprudelt wieder normal, kalt, und bis zu einer Höhe von fünf Fuß.«
    »Was ist mit dem Geysir von Andernach?«
    »Er spritzt nach wie vor viel höher als sonst, aber die Messinstrumente zeigen, dass sich seine Temperatur bei jedemAusbruch vermindert. Trotzdem: Gefährlich ist er noch immer.«
    Joe wollte Gewissheit. Er blickte fragend zu Franziska, hoffte aber, dass die Antwort einfach nur ein Ja war. »Sind das gute oder schlechte Zeichen?«
    »Es könnte bedeuten«, meinte sie, »dass die Magmakammer sich wieder senkt. Aber ob das so ist und ob diese Senkung von Dauer sein wird – das kann ich nicht sagen.«
    »Joe, nicht flirten«, rief ihm Neal zu.
    Joe lachte. »Schon gut, du Neidhammel.«
    Franziska verstand und kehrte zurück in die Zuschauergruppe. So gern sie bei Joe gewesen wäre, jetzt würde sie nur stören. Sie dachte an Clara, die bei einer Nachbarin war. Wenn hier etwas schiefging …
    Der Motor tuckerte, erst langsam und leise, dann schnell und unüberhörbar. Der Nordengländer hüpfte hinter dem Generator auf, die Hände ölverschmiert, und jubelte. Er hatte es geschafft!
    Joes Seite schmerzte immer noch.
    »In einer halben Stunde können wir mit dem Boot raus«, rief ihm Neal zu.
    Es war an der Zeit, dass er zum Container ging und seinen Taucheranzug überstreifte. Er atmete tief durch. Jetzt konnte eigentlich nichts mehr dazwischenkommen. Jetzt konnte die Bergung endlich erfolgen.
    Plötzlich fehlte etwas. Zuerst verstand Joe nicht, was es war; dann aber, als er eine Information von seinem Chef brauchte, merkte er, dass MacGinnis nirgendwo anzutreffen war.
    »Wo ist MacGinnis?« Joe sah sich noch einmal um.
    »Keine Ahnung. Ich habe ihn eben noch dort drüben gesehen.« Neal drehte den Kopf suchend hin und her, aber er erblickte seinen Chef auch nicht. »Vielleicht ist er im Büro«, vermutete er.
    Was tut man, wenn einem das Herz herausgerissen wird?
    Das war die Frage, die sich Reginald MacGinnis jeden Tag erneut stellte, wieder und wieder: Was tut man, wenn einem das Herz herausgerissen wird?
    Mochten die anderen über seine verzweifelte Suche nach einem französischen Restaurant lächeln – für ihn war es die vergebliche Reise in eine glücklichere Vergangenheit, eine Suche nach seiner verlorenen Frau. Es handelte sich um den verzweifelten Versuch, die Erinnerung an eine Liebe herbeizuzwingen, die langsam in ihm erstarb. Er ertappte sich dabei, dass er bereits begann, seine Frau zu vergessen. Er wusste nicht mehr, wie sie gelächelt hatte, nur noch, dass sie oft und gern gelächelt hatte. Manchmal roch er noch ihr Parfüm. Aber sie wurde erneut lebendig bei coq au vin .
    Vor zwei Jahren hatte ein Militärlaster die Vorfahrt missachtet und das Fahrzeug seiner Frau gerammt. Sie lag sechs Monate im Krankenhaus, im künstlichen Koma. Jeden Tag war er an ihr Bett gekommen, hatte versucht, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass sie sterben würde. Er hatte ohnmächtig die Fäuste geballt und mit der Welt gehadert, mit Gott, mit allen. Sein Leben lang hatte er für die da oben den Dreck weggeräumt, den sie nach ihren Militäreinsätzen hinterlassen hatten, hatte schweigend gedient und stets sein Bestes getan, nie aufgemuckt – und dann entriss die Welt ihm das Einzige, was er liebte. Das Einzige, das ihm etwas bedeutete. Den einzigen Grund, überhaupt am Leben zu sein. Er wollte von ihr Abschied nehmen, doch es gelang ihm einfach nicht.
    Sie schlief ja nur.
    Nichts wird mehr so sein, wie es einmal war.
    Den ersten Tagebucheintrag schrieb er an jenem Tag, an dem ein Arzt ihm sagte, dass es nun keine Hoffnung mehr gab. Er begann in einer fahrigen, verwirrten Schrift. Die Buchstaben wirbelten nur so gegeneinander. Im Laufe derZeit, nach Wochen erst, aber immerhin, kam Ordnung in die Zeilen, Gefasstheit. Schließlich Sicherheit.
    Irgendwann erhielt er doch die Nachricht, vor der sich so sehr gefürchtet hatte. Er wollte sie nicht noch einmal sehen, tot, leblos. Er wollte sie duftend, atmend, lebendig in Erinnerung behalten. Warm, weich. Und nun verblasste die Erinnerung.
    Nun war die ganze Welt leer. Tot und leer. Öde. Nichts.
    Das Leben hatte keine Bedeutung mehr. Weiteratmen war sinnlos. Und da erschien dieser Auftrag wie ein Silberstreif am Horizont: eine Bakterie mit der Macht, alles menschliche Leben auszulöschen. Welch eine einmalige Chance!
    »Wer ein einziges Leben

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