Die Lava
– aber können Sie mir nicht mehr Details geben?«
Sie drehte sich um und holte nun ein Skizzenbuch aus dem Regal. Sie hat einen schönen Rücken!, dachte Joe. Als sie sich dem Tisch wieder zuwandte, blies sie eine Locke ausder Stirn und musste lachen: »Was schauen Sie denn so betroffen?«
Joe Hutter fühlte sich ertappt. Er hatte sicher nicht betroffen geschaut, nein, er hatte sie angeglotzt, ihre Nase und die Lippen, die wachen, lebhaften Augen, das weiße T-Shirt, das sich an ihren Körper schmiegte. Er war nicht hier, um eine Frau kennenzulernen, rief er sich ins Gedächtnis.
»Was wollten Sie mir zeigen?«, fragte Joe hastig und trank einen Schluck Wasser.
Sie klappte ein Buch auf, eine dicke Fachzeitschrift für Vulkanologie, und schob sie zu Hutter hin. »Hier ist eine moderne topographische Karte, und die verschiedenen dort eingezeichneten Zonen sind die Gebiete, die bei der katastrophalen Eruption am Ende der letzten Eiszeit verwüstet wurden. Hier sehen sie den Laacher See« – sie tupfte kurz mit dem Zeigefinger auf die Buchseite –, »hier sind Koblenz, Mayen, Wiesbaden, Mainz, Frankfurt, und dort Bonn und Köln.«
Hutter ruckte den Stuhl näher an den Tisch und ging ganz nah an die Karte heran. Es war eines, ein Katastrophengebiet mit dem Finger vage umrissen zu sehen, etwas anderes, einen dicken roten Farbklecks auf einer Karte zu betrachten, der ein Gebiet anzeigte, in dem alle Dörfer und Städte völlig zerstört worden wären, hätte es damals bereits Städte und Dörfer gegeben. Jedenfalls, bräche der Vulkan jetzt aus, zerstörten die herabregnenden Felsen, Steintrümmer und Bimsmassen je nach Windrichtung entweder auf jeden Fall Koblenz und große Teile Rheinhessens oder das Rheinland um Köln. Aber eine verwüstete Landschaft war nicht das, was ihn wirklich interessierte, er musste in Erfahrung bringen, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, dass der Vulkan ausbrach, dass sich – in einer ersten Phase der Eruption vielleicht – das Seewasser erhitzte.
»Die Karte vermittelt mir ein gewisses Bild«, meinte ernachdenklich. »Könnten Sie mir genau schildern, welche Vorzeichen wir bei einem neuen Ausbruch zu erwarten hätten, wie lange diese dauern würden und in welcher Reihenfolge sich was ereignen würde?«
Auf dem Tisch lag die Zeitung mit den neuesten Meldungen vom Bodensee, wo Wirrköpfe gerade eine Art Ungeheuer von Loch Ness gesehen haben wollten.
Franziska bemerkte den neugierigen Blick des Schotten. »Ja, selbst im Laacher See soll es so ein Monster geben. Sebastian Münster hat es beschrieben. Er hat den ersten Bericht über die Eifel verfasst, irgendwann im 16. Jahrhundert. Er hat sogar ein Bild des Monsters geliefert, eine Art Eifelnessie, die einen Menschen verschlingt. Sinngemäß schrieb er: Es gibt in der Eifel zwei bedeutende Seen, einer bei Ulmen, der andere beim Kloster von Laach. Sie sind sehr tief, haben keinen Einfluss, aber zahlreiche Ausflüsse. Diese Seen nennt man Maare.«
Joe sah sie etwas abwartend an.
»Gut, dann sagt er: Im Ulmener Maar ist ein Fisch, den schon viele gesehen haben, der ist dreißig Schuh lang, und ein zweiter, der misst elf Schuh. Sie gleichen einem Hecht. Das sind zehn und drei Meter«, fügte Franziska als Erklärung hinzu.
Joe Hutter nickte. »Aber das heißt nichts über den Laacher See.«
»Doch. Beide Seen sollen in Verbindung stehen. Es gibt eine Sage, dass ein Hecht, dem man im Ulmer Maar eine Glocke umgehängt hatte, von den Mönchen von Maria Laach in ihrem See geangelt wurde.«
»Stimmt das? Gibt es diese Verbindung?« Vor Hutters Auge breitete sich die Gefahr über alle Seen der Eifel aus – das würde sein Team deutlich überfordern.
»Nein, nein, das ist nur eine Sage«, wiegelte Franziska Jansen lächelnd ab.
Hutter atmete auf. »Da habe ich wohl Glück gehabt! Wir sollten uns auf Fakten und Ihre Lageeinschätzung beschränken, bitte.«
»Würde der Laacher Vulkan heute explodieren, käme es vermutlich zuerst zu einer Erwärmung, dann zu einer Aufheizung des Seewassers.«
Hutter zuckte zusammen.
»Irgendwann siedet und kocht der See. Wir würden immer stärkere Erdbeben spüren, die vermutlich manchen Ort schon lange vor dem Ausbruch in Trümmer legen. Dann würde ein gewaltiger Knall erfolgen. Ein Ausbruch würde Köln, Bonn, Mainz und Koblenz vernichten. Vermutlich auch Frankfurt. Zuerst würden sie meterhoch mit einer Staub-, Asche- und Bimsschicht bedeckt, die Asche würde bis an die Ostseeküste
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