Die Lava
einer Studentenwohnung. Franziska schob einige bunt und krakelig bemalte Blätter zur Seite, in dem Haushalt gab es also ein Kind.
»Möchten Sie einen Kaffee?«
»Nein, danke«, antwortete Hutter, dann gab er sich einen Ruck: »Hätten Sie einen Tee für mich?«
Franziska wühlte in einer Lade und kramte schließlich einen Karton mit Pfefferminztee-Beuteln hervor.
Hutter schüttelte unwillkürlich den Kopf. »Ich denke, mir reicht ein Glas Wasser …«
Sie goss ihm ein. »Ist von hier, aus der Eifel.«
Er betrachtete sie. Er hatte genug mit Wissenschaftlerinnen zu tun gehabt, um zu wissen, dass sie nicht alle in ausgebeulten Klamotten herumliefen und auf der Nase ein Kassengestell mit dicken Gläsern trugen. Zoologinnen waren häufig recht unkompliziert und noch häufiger ziemlich cool, Chemikerinnen entsprachen noch am ehesten dem Bild, das man sich von einer grauen Labormaus machte. Manche waren recht hübsch, achteten aber nicht darauf. Manchewussten, dass sie gut aussahen, betonten das auch und leisteten trotzdem hervorragende Arbeit. Geologinnen kannte er keine, er stellte sich immer Frauen mit Pferdeschwanz im staubigen Sweatshirt vor, die mit ihren Hämmern an irgendwelchen Steilwänden herumklopften.
Franziska trug kein Make-up und falls doch, dann so dezent, dass er es nicht feststellen konnte. Sie hatte eine sehr geschmeidige, weibliche Art, sich zu bewegen. Jetzt sah man ihr trotzdem an, dass sie sich etwas unbequem fühlte mit einem fremden Mann, den sie in ihre Wohnung gelassen hatte. Ihr Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, sie trug ein weißes T-Shirt und Jeans, nichts Außergewöhnliches. Hutter dachte daran, wie lange es her war, dass er eine Frau getroffen hatte, es sei denn aus beruflichen Gründen.
»Also, Sie sind gekommen, weil …?«, unterbrach Franziska seinen Gedankengang.
»Sehen Sie, wie ich schon erklärt habe, bin ich ein risk assessment officer einer Versicherung in Edinburgh. Wir erstellen hier eine Risikoanalyse für ein britisches Unternehmen, das ich leider nicht nennen darf, für ein Bauvorhaben in der unmittelbaren Umgebung des Laacher Sees. Und unsere Auftragnehmer wollen wissen, wie es um die Erdbebengefahr bestellt ist.«
Franziska schmunzelte. »Nun, das Kloster steht nach tausend Jahren noch. Wenn Ihr Auftraggeber ebenso massiv baut, sehe ich keine besonderen Probleme.«
»Nun aber weist das Kloster Risse in den Wänden auf, und einer der Türme steht in einem Gerüst. Ich habe Sie im Fernsehen gesehen, und da haben Sie etwas über den See erzählt, dass er ein Kratersee ist und der Vulkan unter dem See jederzeit ausbrechen kann.«
»Das stimmt – aber da hilft Ihnen auch keine Risikoanalyse. Wenn der Vulkan ausbricht, gibt es keine Risse in den Wänden, dann gibt es keine Wände mehr.«
»Ja, eben – und nun sollte ich irgendwie in Erfahrung bringen, wie hoch das Risiko eines Ausbruchs ist.«
»Da gibt es unterschiedliche Meinungen …«
»Nehmen wir an, der Vulkan bricht aus: Was wäre dann?«
Franziska stand auf, ging zu einem Regal und zog ein paar Papiere heraus. Auf dem Rückweg räumte sie mit dem Fuß Claras Spielsachen aus dem Weg, die auf dem Teppich lagen.
»Ich habe es ja im Fernsehen erzählt, was damals passiert ist. Und Sie können in der Gegend herumfahren und sich die Mächtigkeit der Bimsschichten dort ansehen, wo sie zur Steingewinnung angeschnitten wurden, zum Beispiel an der Wingertsbergwand.« Sie klappte eine Karte auf. »Die liegt nahe bei Mendig, südlich des Sees, direkt jenseits der Autobahn. Das gibt Ihnen dann eine Vorstellung.«
»Hm, verstehe. Aber ich will nicht wissen«, erklärte ihr Joe Hutter so freundlich, wie er konnte, »was damals passiert ist, ich möchte erfahren, was heute bei einem Ausbruch des Laacher Vulkans geschehen würde.«
»Projizieren Sie die Katastrophe«, antwortete Franziska, »vor 13 000 Jahren, die ich im Fernsehen geschildert habe, auf die moderne Landkarte.« Sie griff nach einer weiteren Karte mit einer Übersicht über die Eifel und beschrieb mit dem Finger darauf Kreise, die die totale Zerstörungszone, die Gegend, die dann mit einer einen Meter dicken Bimsschicht überzogen wäre, sowie den Umriss eines möglicherweise erneut aufgestauten Rheinsees skizzierten. »Stockholm, Norditalien und Südfrankreich, die ebenfalls von der Eruption betroffen wären, sind auf der Karte natürlich nicht mehr mit drauf«, setzte sie hinzu.
Joe Hutter sah sie mit großen Augen an. »Ich verstehe
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