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Die Lava

Die Lava

Titel: Die Lava Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Magin
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weiß.
    Sie fuhren gemeinsam fischen, in dem Ruderboot des Vaters. Das Meer brauste. Die silbernen Fische zappelten an der Leine.
    Am Strand lag eine Robbe.
    Seehunde galten als Schädlinge. Heute noch ist das so, dachte Joe. Sein Vater machte sie, wie alle anderen Schotten, für seine zurückgehenden Fangerträge verantwortlich. Dabei hätte er nur zum Horizont auf die koreanischen, japanischen oder isländischen Fabrikschiffe schauen müssen, um zu wissen, wer wirklich schuld war.
    Der Vater nahm das Ruder in die Hand, hob es und schlug dann mit aller Kraft auf die Robbe ein.
    »Nein!«, rief der kleine Joe. »Mach das nicht, Papa, mach das nicht!«
    Die Robbe blickte Joe nach dem ersten Hieb aus verwundertenkleinen, schwarzen Knopfaugen an, weil sie nicht begriff, was mit ihr geschah, und sie heulte und plärrte wie ein Baby.
    Der Vater schlug ein zweites Mal zu. Der Seehund heulte nicht mehr, und sein Blick wurde glasig. Das Tier sah ihn an, hilflos, die Augen gebrochene Spiegel, matt und müde. Dann, als sein Leben erlosch, leer.
    »Drecksvieh!«, schimpfte der Vater. Dann hieb er mit einem weiteren Schlag auf den Hals des Tieres und trennte den Kopf vom Körper. Den Kopf trat er mit dem Fuß fort, ganz beiläufig.
    Blut lief über den weißen Korallensand der Bucht von Arisaig. Die Wellen des Atlantiks spülten es ins Meer. Ein schwerer Brecher kam und wirbelte den kopflosen Rumpf des Tieres herum, griff nach ihm, zog ihn ins Meer, warf ihn dann auf den Strand zurück.
    Sein Vater war kein böser Mensch. Er tat nur, was alle Fischer taten.
    Der Vater ruderte danach wieder nach draußen, in Richtung der Insel Eigg, deren höchste Erhebung, der Sgurr, wie eine Haifischflosse über die Wellen ragte, und warf erneut die Angel aus. Joe hatte an diesem Tag kein Wort mehr mit ihm gewechselt, hatte in ihm den Teufel erkannt. Es ist für ein kleines Kind schwer, den Ausdruck von Hass im sonst gütigen Gesicht des Vaters zu vergessen.
    Er begriff damals den Zusammenhang zwischen töten und essen, zwischen fressen und gefressen werden. Seit diesem Tag hatte Joe kein Fleisch mehr gegessen, sich einem noch vagen und naiven, sehr kindlichen Verständnis von Naturschutz verschrieben, das im Laufe der Zeit immer ernsthafter und immer umfassender geworden war. Nun tat er es beruflich, und das unter den fremdartigsten Umständen.
    Er schloss die Augen und sah Franziska Jansen vor sich.
    Es ist ja immer so beim Verlieben, dass man zuerst das Äußere liebgewinnt, bevor man die inneren Werte schätzen lernt. Joe Hutter beeindruckte Franziskas Selbstsicherheit, auch ihr Fachwissen imponierte ihm, aber vor allem dachte er an ihr Aussehen: die hohe Gestalt, die langen, dunklen Haare, die wachen Augen, ihre Figur, die Beine.
    Aber das war unprofessionell. Er durfte sich nicht verlieben.
    Also blieb ihm nur noch der Verrat. Er würde sie heute verraten, er würde sie morgen verraten, er würde sie übermorgen verraten. Und dann, wenn alles erledigt war, würde er sie verlassen und nach Schottland zurückkehren. Und damit sich selbst verraten. Aber er hatte keine andere Wahl: Er durfte nicht so sentimental sein, dass Franziska erfuhr, warum er nach Deutschland an den Laacher See gekommen war.
    Sie beide hatten keine Chance – was immer Franziska Jansen für ihm empfand.
    Das Leben ist schon seltsam, dachte Joe Hutter. Wieso tue ich das alles?
    Was hatte er vor Porton Down gestanden, im Regen und in sengender Hitze, hatte lautstark geschrien, sich fast in die Hosen gemacht, wenn die Polizei mit ihren Knüppeln und Plexiglasschildern anrückte. Hatte durch den Stacheldraht gestarrt auf die niedrigen Gebäude, in denen das Vereinigte Königreich bakterielle und chemische Kampfstoffe entwickelte, testete und lagerte.
    Dann hatte er die Seiten gewechselt. Hatte er das wirklich? Einige seiner alten Freunde glaubten das. Er nicht – er war nur den Gang durch die Institutionen gegangen. Man hatte ihn an der Universität angesprochen, hatte ihm von der Insel erzählt. Hatte ihm erzählt, was er alles zum Guten verändern könnte. Und er hatte es geglaubt, glaubte es immer noch. Ja, man kann vor den Fabriken des Todes protestieren, Schilderhochhalten, sich von den Bullen prügeln lassen und nach einer ungemütlichen Nacht in Polizeizellen aufwachen. Man kann auch mit den Fabrikanten des Todes zusammenarbeiten und aufräumen und saubermachen, dort, wo sie ihre Giftfracht deponierten. Und genau das tat er.
    MacGinnis kam herein. Er trug eine

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