Die Lava
noch einmal durch, was er geschrieben hatte. Er lächelte. Es war gut, verdammt gut. Er war zufrieden.
Er wartete geduldig, bis die schwarze Tinte getrocknet war,bevor er das Tagebuch zuklappte. Dann beugte er sich zu der Schublade seines Schreibtischs, öffnete sie und legte die Kladde hinein.
Lange betrachtete er durch das Fenster den See, der im Sonnenlicht glänzte. Er musste lächeln.
Dann griff er zum Telefon.
Als das Telefon klingelte, war Franziska überrascht, einen Mann mit englischem Akzent zu hören. Er fragte sie nach einem Interviewtermin, und sie akzeptierte, ihn zu treffen.
»Sie wollen etwas über den Laacher Vulkan wissen?«, fragte Franziska, nachdem sie Hutter zwei Stunden später die Tür geöffnet hatte und er eingetreten war.
»Ich bin ein risk assessment officer «, antwortete Joe hastig.
»Ist das etwas Militärisches?«
»Nein, nein. Ich arbeite bei einer Versicherung.« Der Schotte fühlte sich sichtlich unwohl, wie Franziska irritiert bemerkte.
»Was haben Versicherungen mit Vulkanen zu tun?«
»Nun, ich habe wohl Grundkenntnisse in Geologie und Vulkanologie, aber ich bin kein Experte. Die Expertin sind Sie. Ich soll die Risiken von Naturkatastrophen einschätzen, wenn neue Industriestandorte erschlossen werden. Mit Überschwemmungen kenne ich mich aus, da habe ich Erfahrung, aber Vulkane – die haben wir in Großbritannien eher selten.« Es wirkte wie ein auswendig gelernter Text, kam aber sicher und bestimmt. Joe Hutter richtete sich erleichtert auf.
»Und weshalb sind Sie hier?«
»Nun, wir wollen eine neue Fabrik bauen …«
»Eine Fabrik wofür?«
»Es geht ja nicht darum, was produziert wird, sondern darum, ob der dafür gewählte Standort tatsächlich erdbebensicher ist.«
»Aber wo wollen Sie die Fabrik errichten?«
»Das darf ich nicht sagen – noch nicht.«
»Sie wollen etwas von mir wissen«, schnaubte Franziska, »aber wie soll ich denn das Risiko durch Beben bewerten, wenn ich nicht einmal weiß, für welche Gegend ich die Gefahr einschätzen soll?«
»Das sollen ja nicht Sie, sondern ich.«
Joe Hutter wusste, dass er alles verspielte, wenn er weiterhin blockte. Es blieb ihm dennoch keine andere Wahl, als all das zu verschweigen, was diese Frau wissen wollte. Egal, was sie dir im Coaching beigebracht haben, Konfrontation führt nie zu etwas, überlegte er. »Ich bitte Sie einfach darum, mir zu helfen. Ich bin in dieser Zwickmühle, aber wenn mein Bericht nicht stimmt, werde ich entlassen. Sehen Sie«, erklärte er ruhig, »das Problem ist, dass ich mich nicht dazu äußern darf und dennoch weitreichende Informationen brauche. Das ist eine blöde Situation für Sie – aber auch für mich. Ich darf nichts verraten, und Sie ärgern sich zu recht. Ich bitte Sie: Lassen Sie uns einfach über die allgemeine geologische Gefahr für die Region sprechen, mit dem Schwerpunkt auf dem Laacher See.«
Sie standen beide in einem kleinen Flur, ungemütlich.
Franziska lächelte. Ja, sie verstand die Zwickmühle, in der er sich befand. Und ihr gefiel, wie der Schotte sofort auf Gegenkurs gegangen war, als es drohte, rau zu werden. Claras Vater hätte bei so einer Gelegenheit ganz anders reagiert, wäre wütend geworden, aufbrausend, und es wäre unweigerlich zu einem heftigen Streit gekommen.
»Lassen Sie uns noch mal von vorn anfangen«, erklärte Hutter, »ich bitte Sie zu verstehen, dass ich Sie nicht in all unsere Vorhaben einweihen kann. Es wäre trotzdem nett, wenn Sie mir helfen – es ist wirklich wichtig für mich.« Joe Hutter betrachtete Franziska, sie entspannte sich merklich. Sie war eine attraktive Frau, keine Frage.
Die Wohnung wirkte aufgeräumt. Keine Vorhänge am Fenster. Ein paar gerahmte Kinderfotos auf dem Sims. Ein Kunstdruck hinter Glas an der Wand, der Elefant Celebes von Max Ernst. Immerhin, sie hatte Geschmack. Andere Leute hängen sich irgendeine Kitschpostkarte von Dali hin. Auf einem Bücherregal an der Wand gegenüber dem Esszimmertisch, neben einem Riss im Putz, bemerkte er zerlesene Taschenbücher. Alles Krimis, typische Frauenlektüre: Elizabeth George, Minette Walkers, Ian Rankin und Patricia Cornwell. Es wunderte ihn zuerst, dass er keine geologischen oder vulkanologischen Sachbücher sah, doch die standen vermutlich an ihrer Arbeitsstelle im Büro.
Franziska Jansen ging zur Essnische und zeigte mit der Hand auf einen Stuhl. Er folgte ihr und nahm an dem Tisch Platz. Es war ein alter Stuhl, das ganze Ensemble atmete noch den Hauch
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