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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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sehr viel gegessen und reckte sich, erleichtert von diesem Hauche des Lebens, der wieder in das Haus drang. Doktor Cazenove erzählte Geschichten von Wilden, während Pauline vor Glück über diesen Lärm strahlte, der Lazare vielleicht aus seiner düsteren Stimmung riß und ihn zerstreute.
    Von da ab wollte das junge Mädchen die sonnabendlichen Mahlzeiten, die durch den Tod der Tante unterbrochen waren, wieder aufnehmen. Pfarrer und Doktor kamen regelmäßig, das Leben von ehemals begann von neuem. Man scherzte, der Witwer klopfte sich auf die Beine und versicherte, daß er ohne diese verdammte Gicht noch tanzen werde, so heiter sei noch sein Gemüt. Nur der Sohn war mit seinen Gedanken anderswo; wenn er sprach, geschah es mit einer sichtbar krankhaften Erregung; ein jähes Erzittern befiel ihn inmitten seines Schwalles von Worten.
    An einem Sonnabend war man gerade beim Braten angelangt, als der Abbé Horteur zu einem Sterbenden abgerufen wurde. Er leerte sein Glas nicht und ging, ohne auf den Doktor zu hören, der den Kranken noch besucht hatte, ehe er zu Tische gekommen war und ihm jetzt nachrief, daß er seinen Mann bereits tot vorfinden werde. An diesem Abend hatte sich der Priester von so armseligem Geiste gezeigt, daß Chanteau selbst hinter seinem Rücken erklärte:
    »Es gibt Tage, wo er nicht sehr gescheit ist.«
    »Ich möchte an seiner Stelle sein«, sagte Lazare rauh. »Er ist glücklicher als wir.«
    Der Doktor begann zu lachen.
    »Vielleicht! Auch Mathieu und Minouche sind glücklicher als wir. Daran erkenne ich unsere jungen Leute von heutzutage, die an den Wissenschaften genascht haben und krank sind, weil sie damit ihre alten, mit der Muttermilch eingesogenen Gedanken vom Absoluten nicht befriedigen konnten. Ihr möchtet in der Wissenschaft mit einem Schlage und in Bausch und Bogen alle Wahrheiten finden, die wir kaum enträtseln, da sie zweifelsohne nie etwas anderes als eine ewige Untersuchung bleiben werden. Dann verleugnet ihr sie, werft euch auf den Glauben, der nichts mehr von euch wissen will und verfallet in den Pessimismus ... Ja, das ist die Krankheit der Jahrhundertneige; ihr seid wiedergekommene Werther.«
    Er erwärmte sich, das war sein Lieblingssatz. Bei ihren Verhandlungen übertrieb Lazare seinerseits die Verneinung jeder Gewißheit, seinen Glauben an das allgemeine Endübel.
    »Wir leben,« fragte er, »wenn einem zu jeder Stunde die Dinge unter den Füßen krachen?«
    Der Greis nahm einen Anlauf zu jugendlichem Eifer.
    »Aber so leben Sie doch! Ist es nicht genug, daß man lebt? Die Freude besteht in der Tätigkeit.«
    Er wandte sich plötzlich an Pauline, die lächelnd zuhörte.
    »Sagen Sie ihm doch, wie Sie es anfangen, immer zufrieden zu sein.«
    »Ich,« antwortete sie in scherzhaftem Tone, »ich versuche zu vergessen, aus Furcht traurig zu werden, und denke an die anderen, was mich beschäftigt und jedes Übel mit Geduld hinnehmen läßt.«
    Diese Antwort schien Lazare aufzubringen, der aus Bedürfnis nach einem boshaften Widerspruche behauptete, daß die Frauen Religion haben müssen. Er stellte sich, als begreife er nicht, warum sie so lange nicht mehr gebeichtet habe. Sie gab mit ihrer friedfertigen Miene ihre Gründe dafür an.
    »Das ist sehr einfach, die Beichte hat mich verletzt; ich meine, viele Frauen fühlen wie ich ... Sodann ist es mir unmöglich, an Dinge zu glauben, die mir unvernünftig scheinen. Wozu lügen, wozu ihr Gutheißen heucheln? ... Außerdem beunruhigt mich das Unbekannte nicht, es kann nicht anders als logisch sein; das Beste ist: so vernünftig wie möglich abwarten.«
    »Schweigt, da kommt der Abbé«, unterbrach sie Chanteau, den die Unterhaltung langweilte.
    Der Mann war gestorben, der Abbé beendete ruhig seine Mahlzeit, und man trank ein Gläschen Chartreuse.
    Pauline stand jetzt mit der heiteren Würde einer guten Hausfrau der Wirtschaft vor. Die Einkäufe, die geringfügigsten Kleinigkeiten wurden von ihr in Augenschein genommen, und das Schlüsselbund rasselte an ihrem Gürtel. Es hatte sich ganz natürlich gemacht, ohne daß Veronika ärgerlich darüber zu sein schien. Seit dem Tode Frau Chanteaus blieb die Magd indessen mürrisch und wie verdummt. Etwas Neues schien sich in ihr zu vollziehen, eine Wiederkehr der Zuneigung für die Tote, während sie zu Pauline von einer mißtrauischen Widerwärtigkeit war. Jene redete ihr umsonst freundlich zu; ein Wort genügte, sie zu beleidigen, und man hörte sie dann sich ganz allein in ihrer

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