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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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Jahrhunderten die nämlichen Steine abnutzte, ohne je über einen menschlichen Tod geweint zu haben. Es war zu groß, zu kalt, und er beeilte sich heimzukehren, sich einzuschließen, um sich weniger klein, weniger zu Boden gedrückt zu fühlen als zwischen der Unendlichkeit des Himmels. Eine einzige Stätte zog ihn an, der die Kirche umgebende kleine Friedhof. Seine Mutter war zwar nicht dort zu finden, aber er dachte dort an sie, dort beruhigte er sich wunderbar trotz seines Entsetzens vor dem Nichts. Die Gräber schlummerten dort unter dem Rasen, der Taxus war unter dem Schutze des Kirchenschiffes emporgeschossen, man vernahm nur das Pfeifen der vom Seewind geschaukelten Wettervögel. Er vergaß sich dort stundenlang, ohne auch nur die Namen der alten Toten zu lesen, welche die Regengüsse von den Grabsteinen verwischt hatten.
    Hätte Lazare wenigstens noch den Glauben an die andere Welt besessen, hätte er wenigstens glauben können, daß man die Seinen jenseits der schwarzen Mauer wiedersehen werde. Aber selbst dieser Trost fehlte ihm, er war zu sehr von dem persönlichen Ende des Seins überzeugt, man starb und verlor sich in die Ewigkeit des Lebens. Es gab eine verkappte Auflehnung in seinem Ich, das nicht enden wollte. Welche Freude, anderswo unter den Sternen ein neues Dasein mit seinen Eltern und Freunden zu beginnen! Wie süß mußte es den Todeskampf machen, wenn man wußte, daß man sich mit den verlorenen Lieben wieder vereinigen werde, wie es bei der Begegnung Küsse regnen werde; wie zufrieden und heiter werde man in gemeinsamer Unsterblichkeit von neuem zu leben beginnen! Er rang mit dem Tode angesichts dieser barmherzigen Lüge der Religionen, deren Mitleid den Schwachen die entsetzliche Wahrheit verbirgt. Nein, alles starb mit dem Tode, keine unserer liebevollen Empfindungen erstand wieder, das Lebewohl war auf ewig gesprochen. Niemals, niemals! Das war das fürchterliche Wort, das seinen Geist in den Wirbel der Leere entführte!
    Als Lazare eines Morgens im Schatten der Taxusbäume stehen geblieben war, bemerkte er den Abbé Horteur in seinem Gemüsegarten, der nur durch eine niedrige Mauer von dem Friedhofe getrennt war. Mit einer alten grauen Bluse und Holzschuhen angetan, grub der Priester eigenhändig ein Kohlbeet um; und mit seinem von der scharfen Meeresluft gegerbten Gesicht, dem sonnverbrannten Nacken sah er einem alten, über die harte Erde gebeugten Bauer ähnlich. Kaum bezahlt, ohne gelegentliche Einnahmen in diesem verlorenen Kirchspiel, würde er vor Hunger gestorben sein, wenn er sich nicht etwas Gemüse gezogen hätte. Sein bißchen Geld ging für Almosen auf, er lebte allein, von einem kleinen Mädchen bedient und oft genötigt, seinen Suppentopf selbst auf das Feuer zu stellen. Um das Maß seines Mißgeschickes voll zu machen, war der Boden auf diesem Felsen nichts wert; der Wind verdorrte ihm seine Salatstauden, es war wirklich kein Entgelt, sich mit dem Gestein herumzuschlagen, um klägliche Zwiebeln zu ernten. Trotzdem verbarg er sich, wenn er seine Bluse anzog und zwar aus Furcht, daß man darüber die Religion verspotten könne. Lazare wollte sich deshalb zurückziehen, als er ihn eine Pfeife aus der Tasche nehmen, sie mit dem Daumen kräftig stopfen und mit einem lauten Schmatzen seiner Lippen anzünden sah. Eben als der Abbe selig die ersten Züge schmauchte, bemerkte er seinerseits den jungen Mann. Er machte eine hastige Bewegung, um die Pfeife zu verbergen, dann begann er jedoch zu lächeln und rief:
    »Sie schöpfen Luft ... Treten Sie näher und sehen Sie sich meinen Garten an.«
    Als Lazare neben ihm stand, fügte er heiter hinzu:
    »Nicht wahr! Sie ertappen mich bei einer Ausschweifung ... Ich kenne aber nur die eine, mein Freund, und Gott fühlt sich dadurch gewiß nicht beleidigt.«
    Von da an rauchte er geräuschvoll weiter und nahm die Pfeife nur aus dem Munde, um einige kurze Sätze hinzuwerfen. So war der Pfarrer von Verchemont sein steter Gedanke. Ein glücklicher Mann, der einen herrlichen Garten hatte, einen guten Boden, in dem alles gedieh. Wie schlecht es auch stehen mochte, jener Pfarrer machte nicht einen einzigen Strich mit der Egge. Dann klagte er über seine Kartoffeln, sie fielen seit zwei Jahren ab, obgleich die Erde ihnen wohl bekommen mußte.
    »Wenn ich Ihnen nicht lästig falle,« sagte Lazare zu ihm, »bleiben Sie nur ruhig bei Ihrer Arbeit.«
    Der Abbé griff sofort wieder zum Spaten.
    »Ich möchte wohl. Aber die Schlingel kommen bald zum

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