Die Lebensfreude
Küche darüber beklagen. Wenn sie nach langem, eigensinnigem Schweigen mit lauter Stimme dachte, kam jedesmal das Entsetzen vor der Katastrophe wieder zum Vorschein. Wußte sie, daß die Frau sterben sollte? Sicher nicht, sonst würde sie es nie gesagt haben, was sie geäußert hatte. Gerechtigkeit vor allem, man dürfe nicht die Leute töten, selbst wenn sie Fehler hätten. Schließlich wusch sie sich ihre Hände rein, desto schlimmer für die Person, welche die wahre Ursache des Unglücks war! Aber diese Versicherung beruhigte sie nicht; sie fuhr fort, zu brummen und sich gegen ihr eingebildetes Vergehen zu wehren.
»Wozu plagst du dir das Hirn eigentlich so?« fragte Pauline eines Tages. »Wir haben unser Möglichstes getan, gegen den Tod vermag man nichts.«
Veronika schüttelte den Kopf.
»Lassen Sie, man stirbt nicht so ohne weiteres ... Die Frau war, was sie war, aber sie hatte mich, als ich noch ganz klein war, zu sich genommen, und ich würde mir die Zunge abschneiden, wenn ich dächte, daß ich mit irgend etwas in ihre Geschichte verwickelt wäre. Sprechen wir nicht mehr davon, es würde schlecht enden.«
Das Wort Heirat war zwischen Pauline und Lazare nicht mehr ausgesprochen worden. Chanteau, an dessen Seite sich das junge Mädchen mit seiner Näharbeit niedergelassen hatte, um seine Langeweile zu vermindern, hatte einmal eine Anspielung gewagt; er wollte jetzt, wo das Hindernis beseitigt, damit zu Ende kommen. Bei ihm war besonders das Bedürfnis, sie bei sich zu behalten, ausschlaggebend; ihn packte das Entsetzen, wieder in die Hände der Magd zu fallen, wenn er sie verlor. Pauline hatte zu verstehen gegeben, daß vor Ablauf der tiefen Trauer nichts entschieden werden könne. Nicht nur die Schicklichkeit allein gab ihr dieses Wort ein, sondern sie erhoffte von der Zeit eine Antwort auf eine Frage, die sie nicht einmal an sich selbst zu richten wagte. Ein so jäher Tod, dieser entsetzliche Schlag, von dem sie und ihr Vetter erschüttert blieben, hatte eine Art Waffenstillstand in ihrer tief verletzten Liebe hervorgerufen. Sie erwachten langsam und litten noch immer, da sie in dem unwiderbringlichen Verlust ihr eigenes Drama wiederfanden: Luise überrascht und fortgejagt, ihre zerstörte Liebe, ihr vielleicht verändertes Leben. Wozu sich jetzt entscheiden? Liebten sie sich noch immer, war die Heirat möglich und vernünftig? Das wogte in der Betäubung, in welcher sie die Katastrophe gelassen, auf und nieder, ohne daß die eine oder der andere ungeduldig eine Lösung vom Zaune brechen zu wollen schien.
Indessen hatte sich bei Pauline die Erinnerung an den erlittenen Schimpf gemildert. Sie hatte schon lange vergeben und war bereit, an dem Tage, an dem er bereuen würde, beide Hände in die seinen zu legen. Es sprach nicht in ihr der eifersüchtige Triumph, ihn gedemütigt zu sehen, sie dachte allein an ihn, so sehr, daß sie bereit war, ihm sein Wort zurückzugeben, falls er sie nicht mehr liebte. Ihre ganze Angst lag in diesem Zweifel: dachte er noch an Luise oder hatte er sie vergessen, um zu den alten Neigungen der Kindheit zurückzukehren? Wenn sie so davon träumte, eher auf Lazare zu verzichten als ihn unglücklich zu machen, unterlag ihr Wesen dennoch dem Schmerze; sie rechnete wohl darauf, den Mut zu haben, aber sie hoffte nachher auch daran zu sterben.
Seit dem Tode ihrer Tante war ihr ein großmütiger Gedanke gekommen, sie hatte geplant, sich mit Luise zu versöhnen. Chanteau konnte ihr schreiben, sie selbst wollte dem Brief ein Wort der Vergebung beifügen. Man war so allein, so traurig, daß die Anwesenheit dieses großen Kindes eine Zerstreuung für alle sein werde. Nach einer so schmerzlichen Erschütterung schien die Vergangenheit alt; sie empfand auch Gewissensbisse über ihre Heftigkeit. Jedesmal aber, wenn sie mit ihrem Onkel davon sprechen wollte, hielt ein Widerwille sie zurück. Hieß es nicht die Zukunft wagen, Lazare versuchen und ihn verlieren? Vielleicht hätte sie dennoch den Heldenmut und den Stolz gefunden, ihn diesem Versuche zu unterwerfen, wenn sich nicht in ihr der Gedanke an die Gerechtigkeit empört hätte. Der Verrat allein war unverzeihlich. Sollte sie nicht genügen, den Frohsinn wieder an das Haus zu fesseln? Warum eine Fremde herbeirufen, wenn sie selbst von Zärtlichkeit und Ergebung überströmte? Ihr unbewußt lag ein Stolz in ihrer Selbstverleugnung, sie verspürte eine eifersüchtige Barmherzigkeit. Ihr Herz flammte auf bei der Hoffnung, das einzige
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