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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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Glück der Ihren zu sein.
    Von da ab war dies Paulinens Hauptstreben. Sie bemühte sich, das Haus um sie her glücklich zu machen. Sie hatte noch nie eine solche Tapferkeit in der fröhlichen Laune und Güte gezeigt. Das war jeden Morgen ein lächelndes Erwachen, eine Sorge um die Verheimlichung des eigenen Elends, um nicht mit ihm das der anderen zu erhöhen. Sie bot den Katastrophen Trotz mit ihrer Sanftmut zu leben, sie trug eine Gleichmut des Charakters zur Schau, der selbst das Übelwollen entwaffnete. Jetzt ging es ihr gut, sie war stark und gesund wie ein junger Baum und die Freude, die sie um sich her verbreitete, war der Strahlenglanz ihrer Gesundheit selbst. Der Beginn jedes neuen Tages entzückte sie, es machte ihr Vergnügen, das wieder zu tun, was sie am Tage vorher getan hatte, sie erwartete nichts mehr, sie hoffte auf das Morgen ohne Fieber. Veronika, die phantastisch geworden und von unerklärlichen Launen gequält wurde, brummte wohl vor ihrem Herde; ein neues Leben verjagte die Trauer aus dem Hause, das Lachen von ehemals erwachte wieder in den Zimmern und stieg in heiterem Schall die Treppe empor. Besonders entzückt davon erschien der Onkel, die Traurigkeit war ihm immer lästig gewesen, er trieb gern frohen Scherz, seitdem er den Lehnstuhl nicht mehr verlassen konnte. Für ihn wurde das Dasein unerträglich, und er klammerte sich daran mit der Heftigkeit eines Kranken, der selbst im Schmerze fortleben will. Jeder überlebte Tag war ein Sieg für ihn, seine Nichte schien das Haus mit einem guten Sonnenschein zu durchwärmen, in dessen Strahlen er nicht sterben konnte.
    Pauline hatte dennoch einen Kummer: Lazare entzog sich ihren Tröstungen. Es beunruhigte sie, als sie ihn in seine düstere Stimmung verfallen sah. In der Tiefe der Trauer um seine Mutter erwachte in ihm auch das Entsetzen vor dem Tode. Seitdem die Zeit den ersten Kummer verwischt, tauchte dieses Entsetzen, durch die Furcht vor dem ererbten Leiden vergrößert, wieder auf. Auch er werde einst an einem Herzübel sterben; er gab sich der Gewißheit eines nahen und traurigen Endes hin. Und er hörte sich alle Augenblicke in einer solchen nervösen Erregtheit leben, daß er das Räderwerk der Maschine gehen hörte: es waren schmerzhafte Magenkrämpfe, rote Ausscheidungen der Nieren, dumpfe Hitzanfälle der Leber; doch mehr als durch die anderen Organe wurde er durch sein Herz betäubt, das sich mit seinen Schlägen in jedem seiner Gliedmaßen bis in die Fingerspitzen hinein vernehmbar machte. Wenn er den Ellbogen auf einen Tisch stützte, klopfte sein Herz im Ellbogen; lehnte er sein Genick an den Rücken eines Lehnstuhls, so klopfte sein Herz im Genick; wenn er sich setzte, wenn er sich niederlegte, schlug sein Herz in seinen Schenkeln, seinen Seiten, seinem Bauche; und dieses Gesumme brummte immer und immer, es maß sein Leben mit dem Gerassel einer ablaufenden Uhr. Unter der fortwährenden Plage des Studiums an seinem Körper glaubte er, daß jeden Augenblick alles in ihm zerberste, daß die Organe sich abnutzten und in Stücke fliegen würden, daß das ungeheuerlich angeschwollene Herz selbst mit mächtigen Hammerschlägen die Maschine sprengen werde. Das war nicht mehr Leben, sich so leben zu hören und in Erwartung des Sandkornes, das es vernichten werde, vor der Zerbrechlichkeit eines Mechanismus zu zittern.
    Die Beklemmungen Lazares nahmen denn auch immer mehr zu. Schon seit Jahren streifte der Gedanke an den Tod beim Schlafengehen eisig über sein Gesicht und machte seinen Leib starr. Jetzt wagte er nicht einzuschlafen aus Furcht, daß er nicht wieder aufwache. Er haßte den Schlaf, er empfand Entsetzen vor der Ohnmacht seines Wesens, wenn er vom Wachen in den Strudel des Nichts versank. Sein plötzliches Erwachen erschütterte ihn noch mehr, denn es zog ihn aus der Finsternis, als habe ihn eine Riesenfaust bei den Haaren gepackt und in das Leben zurückgeschleudert mit dem stammelnden Entsetzen vor dem Unbekannten, aus dem er hervorgegangen. Mein Gott! Mein Gott! Es mußte gestorben sein; und noch nie hatten sich seine Hände zu einem solchen Ausbruche der Verzweiflung gefaltet. Jeden Abend wurde seine Qual derartig, daß er vorzog, nicht zu Bette zu gehen. Er hatte bemerkt, daß er ohne Erschütterung friedlich wie ein Kind schlief, wenn er sich tagsüber auf einem Sofa ausstreckte. Da war eine erquickende Ruhe, ein bleierner Schlummer; unglücklicherweise verdarben sie seine Nächte vollends. Nach und nach brachte er es zu

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