Die Lebensfreude
wie vom Sturme im Glase Wasser zertrümmerte Modell eines Pfahlwerkes. Dann tobten sie im Hause umher, sie verfolgten sich im Spiel wie losgelassene Kinder, sie stiegen ohne Unterlaß die Stockwerke hinauf und herunter, durcheilten die Zimmer, deren Türen sie geräuschvoll zuschlugen. Waren dies nicht die Stunden von ehemals? Sie zählte zehn Jahre und er neunzehn, sie empfand wieder die leidenschaftliche Freundschaft eines Backfisches für ihn. Nichts war verändert, im Eßzimmer befand sich noch immer der Speiseschrank aus hellem Nußbaumholze, die Hängelampe von lackiertem Kupfer, die Ansicht vom Vesuv und die vier Holzschnitte der Jahreszeiten, die sie noch immer heiter stimmten. Unter dem Glaskasten schlief das Meisterwerk des Großvaters auf der nämlichen Stelle, so eins mit dem Kamin geworden, daß die Magd Gläser und Teller darauf stellte. Nur in ein einziges Gemach drangen sie mit stummer Rührung, in das einstige Zimmer Frau Chanteaus, das seit ihrem Tode unberührt geblieben war. Niemand öffnete mehr den Schreibsekretär, nur die gelben Kretonvorhänge mit den grünlichen Ranken blaßten von der hellen Sonne aus, die man manchmal dort hinein ließ. Es fiel in dies© Zeit gerade der Jahrestag ihres Namensfestes, und so schmückten sie das Zimmer mit großen Blumensträußen.
Bald jedoch verscheuchte ein Windstoß den Regen, sie eilten ins Freie, auf die Terrasse, in den Gemüsegarten, den Strand entlang, und ihre Jugend begann von neuem.
»Wollen wir an den Krabbenfang gehen?« rief sie ihm eines Morgens, aus dem Bette springend, durch die Zwischenwand zu. »Das Meer tritt jetzt zurück.«
Sie gingen im Badeanzug davon, sie fanden die alten, durch so viele Wochen und Monate von der Flut kaum benagten Felsen wieder. Man hätte glauben können, daß sie erst am Abend vorher diesen Winkel der Küste durchstöbert. Er erinnerte sich.
»Nimm dich in acht, da unten ist ein Loch, und der Grund ist voller Steine.«
Sie aber beruhigte ihn schnell.
»Ich weiß es wohl, habe keine Furcht... Sieh doch, welch ungeheure Krabbe ich soeben gefangen habe!«
Eine frische Sturzwelle stieg ihnen bis an die Hüften, sie berauschten sich an der salzigen Luft, die von der offenen See her wehte. Auch die weiten Streifzüge von ehemals wiederholten sich, das Ruhen auf dem Sande, das Unterschlüpfen in die Tiefe einer Grotte, um einen plötzlichen Regenschauer vorüberziehen zu lassen. Nichts schien ihnen unter dem Himmel verändert, das Meer war noch immer da stets mit den nämlichen Linien am Horizonte, in seiner ewigen Unbeständigkeit. Hatten sie es nicht erst gestern so türkisenblau gesehen mit seinen großen, bleichen Streifen, in denen das Erzittern der Strömungen verlief? Dieses bleifarbene Wasser unter dem farblosen Himmel, dieser Regenstrich dort links, der mit der hohen Flut herankam, würden sie ihn nicht morgen ebenfalls sehen, ohne Unterschied in den Tagen? Kleine, vergessene Ereignisse tauchten wieder mit der lebhaften Empfindung der unmittelbaren Wirklichkeit in ihnen auf. Er war damals sechsundzwanzig, sie sechzehn Jahre alt. Wenn er sich vergaß und sie kameradschaftlich schupste, fühlte sie eine Beklemmung, sich wie von einer köstlichen Verwirrung gepackt. Sie ging ihm trotzdem nicht aus dem Wege, denn sie dachte an nichts Böses. Ein neues Leben überkam sie, es wurden Worte geflüstert, ohne Grund gelacht, und aus manchem langen Schweigen fuhren sie zitternd auf. Die allergewöhnlichsten Dinge nahmen außerordentliche Bedeutungen an, so das erbetene Brot, ein Wort über das Wetter, das Gutenacht, das sie sich an ihren Türen wünschten. Es war wieder die ganze Vergangenheit, deren Flut mit der Lieblichkeit wiedererwachender, eingeschlummerter Zärtlichkeiten zu ihnen emporstieg. Warum sollten sie auch unruhig sein? Sie widerstrebten nicht einmal, das Meer schien sie einzuwiegen und mit der ewigen Eintönigkeit seiner Stimme einzuschläfern.
So verstrichen die Tage ohne jede Erschütterung. Es begann bereits die dritte Woche von Lazares Aufenthalt. Er reiste nicht ab; er hatte verschiedene Briefe von Luise erhalten; sie langweilte sich sehr, wurde aber von ihrer Schwägerin noch zurückgehalten. In seinen Antworten veranlaßte er sie zu bleiben, schickte ihr Doktor Cazenoves Ratschläge, den er in der Tat über den Zustand seiner Frau befragte. Der ruhige und regelmäßige Gang des Hauswesens nahm ihn nach und nach wieder gefangen, die alten Stunden der Mahlzeiten, des Zubettegehens und
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