Die Lebensfreude
Kehle. Sie fiel, sprang auf, fiel wieder und lief mit blutenden Händen weiter. Ihr Kopftuch war fortgeflogen, ihre bloßen Haare flatterten im Sonnenlichte.
»Was sagt sie nur?« wiederholte Pauline, von Entsetzen ergriffen.
Die Frau kam näher, sie vernahmen einen rauhen Schrei dem Geheul eines Tieres ähnlich.
»Das Kind!... das Kind!... das Kind!«
Seit dem Morgen arbeiteten Vater und Sohn, ungefähr eine Meile von da in einem Haferfelde, das sie geerbt hatten. Die Frau hatte sich kaum aus dem Hause entfernt, um einen Korb Rüben zu holen; als sie fortging, schlief das Kind; sie hatte alles zugeschlossen, was sie sonst nie tat. Ohne Zweifel glimmte das Feuer schon lange, denn sie war entsetzt, versicherte, es bis auf das letzte Stückchen Kohle ausgelöscht zu haben. Jetzt war das Strohdach ein Feuerherd, die Flammen loderten empor und brachten ein rotes Geflimmer in die große, gelbe Klarheit des Sonnenlichtes.
»Ihr habt abgeschlossen?« rief Lazare.
Die Frau hörte nicht. Sie war wie toll, machte ohne Grund die Runde um das Haus, um irgendwelche Öffnung, ein Loch zu entdecken, das, wie sie wohl wissen mußte, nicht vorhanden war. Dann war sie wieder gefallen, ihre Füße trugen sie nicht mehr, ihr altes, graues, jetzt entblößtes Gesicht verzerrte sich in Verzweiflung und Entsetzen, während sie noch immer heulte:
»Das Kind!... Das Kind!«
Paulinens Augen füllten sich mit schweren Tränen. Dieser Schrei aber entnervte besonders Lazare, den jedesmal ein heftiges Unbehagen erschütterte. Das wurde unerträglich; er sagte plötzlich:
»Ich werde ihr das Kind holen.«
Die Base sah ihn bestürzt an, sie versuchte seine Hand zu fassen, ihn zurückzuhalten.
»Du? Ich will nicht... Das Dach wird einstürzen.«
»Wir werden sehen«, sagte er schlicht.
Dann rief er seinerseits der Frau ins Gesicht:
»Euren Schlüssel? Ihr habt doch Euren Schlüssel?«
Die Frau starrte ihn an. Lazare schüttelte sie und entriß ihr endlich den Schlüssel. Während sie auf der Erde liegen blieb und heulte, ging er ruhigen Schrittes auf das Haus zu. Pauline folgte ihm mit den Augen, sie versuchte nicht mehr, ihn aufzuhalten, von Furcht und Staunen wie festgenagelt, während er etwas ganz Natürliches zu vollbringen schien. Ein Funkenregen fiel nieder, er mußte sich gegen das Holz der Tür stemmen, um sie zu öffnen, während Büschel brennenden Strohes vom Dache herunterrollten, wie Wasser bei einem Ungewitter nieder rieselt; und schon fand er ein Hindernis, der verrostete Schlüssel wollte sich nicht im Schlosse umdrehen. Aber er fluchte nicht einmal, er ließ sich Zeit, es gelang ihm zu öffnen, er blieb noch einen Augenblick auf der Schwelle stehen, um den ersten ihm in das Gesicht schlagenden Rauchqualm herauszulassen. Er hatte nie so kaltes Blut gehabt und handelte wie im Traum, mit einer Sicherheit der Bewegungen, einer Geschicklichkeit und Klugheit, welche die Gefahr erzeugte. Er beugte den Kopf und verschwand.
»Mein Gott, mein Gott?« stammelte Pauline, die vor Angst schier erstickte.
Mit einer unwillkürlichen Bewegung hatte sie die Hände gefaltet und preßte sie zum Zerbrechen; sie hob sie mit einer fortwährenden Schwingung in die Höhe, wie es die Kranken bei großen Schmerzen tun. Das Dach krachte, brach schon hier und dort durch, ihr Vetter würde keine Zeit mehr zum Hinauskommen haben. Sie hatte das Gefühl einer Ewigkeit, ihr schien, als sei er schon seit endlosen Zeiten dort drinnen. Die Frau auf der Erde atmete nicht mehr, sie saß mit blödsinniger Miene da, weil sie einen Herrn in das Feuer hatte gehen sehen.
Ein lauter Schrei ertönte jetzt. Pauline hatte ihn aus tiefster Seele ausgestoßen, ohne es zu wollen, in dem nämlichen Augenblick, als das Dach zwischen die rauchenden Mauern stürzte.
»Lazare!«
Er stand in der Tür, die Haare kaum versengt, mit leicht verbrannten Händen; und als das Kleine weinend in den Armen der Frau strampelte, ärgerte er sich fast über seine Base. »Wie? Warum mußt du dich so ängstigen?«
Sie hängte sich schluchzend, in einer solchen nervösen Erregung an seinen Hals, daß er sie aus Furcht vor einer Ohnmacht auf einem alten, mit Moos bewachsenen Stein, der an den Brunnen des Hauses gelehnt war, niederließ. Er selbst fühlte sich jetzt schwach werden. Es stand dort ein Trog mit Wasser, in dem er mit Behagen seine Hände kühlte. Diese Frische ließ ihn wieder zu sich kommen, und er zeigte nun seinerseits ein großes Erstaunen über seine Tat. Wie! Er war
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