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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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zurückdrängte, um ihrerseits herauszukommen und die Tür hinter sich zu schließen.
    »Was denn?« murmelte Pauline.
    Durch ein Zeichen forderte die Hebamme sie zum Hinuntergehen auf; dort unten erst, auf dem Flur, sprach sie.
    »Der Fall droht ernst zu werden. Es ist meine Pflicht, die Familie davon in Kenntnis zu setzen.«
    Lazare erbleichte. Ein kalter Hauch hatte sein Gesicht gestreift. Er stammelte:
    »Was gibt es?«
    »Das Kind kommt, soweit ich mich überzeugen konnte, mit der linken Schulter und ich fürchte sogar, daß der Arm zuerst frei wird.«
    »Und?« fragte Pauline. »In solchem Falle ist die Gegenwart des Arztes unbedingt notwendig. Ich kann die Verantwortlichkeit der Entbindung nicht auf mich nehmen, besonders im achten Monat.«
    Es trat ein Schweigen ein. Dann fuhr der verzweifelte Lazare auf. Wo sollte er zu dieser nächtlichen Stunde einen Arzt finden? Seine Frau würde zwanzigmal sterben, bevor er den Arzt aus Arromanches herbeigeschafft habe.
    »Ich glaube nicht an eine unmittelbare Gefahr«, wiederholte die Hebamme. »Machen Sie sich sogleich auf. Ich kann nichts tun.«
    Und als Pauline sie ihrerseits anflehte, im Namen der Menschlichkeit zu handeln, um wenigstens der Unglücklichen Erleichterung zu verschaffen, deren tiefe Seufzer beständig das Haus erfüllten, erklärte sie mit ihrer schroffen Stimme:
    »Nein, das ist mir verboten ... Die andere in dem Dorfe da drüben ist gestorben. Ich möchte nicht, daß auch diese mir unter den Händen bleibt.«
    In dem nämlichen Augenblicke ertönte aus dem Eßzimmer die weinerliche Stimme Chanteaus.
    »Ihr seid da? Kommt herein!... Man sagt mir nichts. Ich warte schon seit einem Jahrhundert auf Nachricht.«
    Sie traten ein. Seit dem unterbrochenen Mittagsmahl hatte man Chanteau völlig vergessen. Er war vor dem gedeckten Tische sitzen geblieben, drehte geduldig die Daumen in der schläfrigen Ergebung eines Kranken, der an langes, einsames Festgenageltsein gewohnt ist. Diese das Haus in Aufregung versetzende neue Katastrophe betrübte ihn: er hatte nicht einmal den Mut zu Ende zu essen und hielt die Augen auf den noch vollen Teller gerichtet.
    »Es geht also nicht gut?« murmelte er.
    Lazare zuckte wütend die Schultern. Frau Bouland, die ihre volle Ruhe beibehielt, riet ihm, keine Zeit weiter zu verlieren.
    »Nehmen Sie das Fuhrwerk... Das Pferd läuft kaum. Aber in zwei Stunden, zwei und einer halben Stunde können Sie hin und zurück sein... Bis dahin werde ich wachen.«
    Er faßte einen schnellen Entschluß und stürzte hinaus in der Gewißheit, bei der Rückkehr seine Frau tot vorzufinden. Man hörte ihn fluchen, auf das Pferd hauen, das den Wagen mit lautem Geräusch der Eisenbeschläge entführte.
    »Was geht da vor?« fragte Ghanteau wieder, dem niemand geantwortet hatte.
    Die Hebamme ging bereits hinauf und Pauline folgte ihr, nachdem sie ihrem Onkel gesagt hatte, daß es der armen Luise sehr schlecht gehe. Als sie ihm anbot, ihn zu Bett zu bringen, weigerte er sich; er bestand eigensinnig darauf, wach zu bleiben, um neues zu hören. Wenn ihn der Schlaf befalle, werde er sehr gut in seinem Lehnstuhl schlafen, in dem er ganze Nachmittage schlummerte. Kaum war er allein, so erschien Veronika mit ihrer verlöschten Laterne. Sie war wütend. Seit zwei Jahren hatte sie nicht soviel hintereinander gesprochen.
    »Man hätte sagen müssen, daß sie einen andern Weg kämen. Ich habe in allen Gräben nachgesehen und bin wie ein Tier bis nach Verchemont gelaufen. Dort habe ich mich noch eine halbe Stunde mitten auf dem Wege aufgepflanzt.«
    Chanteau blickte sie mit seinen schweren Augen an.
    »Donnerwetter! Ihr konntet euch schwerlich begegnen.«
    »Auf dem Rückwege bemerkte ich Herrn Lazare, der wie ein Toller in einem schauderhaften Wagen daherraste... Ich rufe ihm zu, daß man ihn erwarte, aber er schlägt noch stärker auf das Pferd ein, und es hat wenig gefehlt, daß er mich niederfuhr. Nein, ich habe genug von diesen Bestellungen, von denen ich nichts verstehe! Dazu ist meine Laterne noch ausgegangen.«
    Sie drängte ihren Herrn; er solle fertig essen, damit sie den Tisch abräumen könne. Er hatte keinen Hunger, wollte aber trotzdem ein wenig kalten Kalbsbraten nehmen, mehr um sich zu zerstreuen. Ihn beunruhigte jetzt, daß der Abbe sein Wort nicht gehalten hatte. Warum verspricht man, den Leuten Gesellschaft zu leisten, wenn man entschlossen ist, zu Hause zu bleiben? Die Priester spielen in Wahrheit eine komische Rolle in einem Hause, wo

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