Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
Vom Netzwerk:
Frauen niederkommen. Dieser Gedanke belustigte ihn, er machte sich vergnügt daran, allein zu speisen.
    »Vorwärts, Herr, beeilen Sie sich«, wiederholte Veronika. »Es ist bald ein Uhr, mein Geschirr kann nicht bis morgen so herumstehen... Das ist ein verwünschtes Haus, in dem es immer neue Plackereien gibt.«
    Sie fing an, die Teller abzuräumen, als Pauline von der Treppe her mit hastiger Stimme sie rief. Chanteau saß wieder vergessen vor dem Tische, ohne daß jemand herunterstieg und ihm Kunde brachte.
    Frau Bouland nahm ohne Widerspruch von dem Zimmer Besitz, durchwühlte die Möbel und erteilte Befehle. Sie ließ zuerst Feuer anzünden, da ihr der Raum zu feucht schien. Dann erklärte sie, das Bett sei unbequem, zu niedrig, zu weich; als Pauline ihr sagte, daß sich auf dem Boden ein altes Gurtbett befände, ließ sie dieses durch Veronika holen, sie stellte es vor dem Kamin auf, legte am Fußende ein Brett querüber und eine einfache Matratze darauf. Dann war eine Menge Wäsche nötig, ein Tuch, das sie zum Schutze der Matratze vierfach faltete, andere Tücher, Servietten, Wischlappen, die sie auf Stühlen vor dem Feuer zum Wärmen ausbreitete. Bald nahm das Zimmer, von Wäsche angefüllt, durch das Bett versperrt, das Aussehen einer in Erwartung einer Schlacht hastig aufgestellten Ambulanz an.
    Im übrigen hörte sie jetzt nicht auf zu sprechen. Sie ermahnte Luise mit soldatisch knapper Stimme, als wenn sie dem Schmerze zu befehlen habe. Pauline hatte sie mit leiser Stimme gebeten, nicht vom Arzte zu sprechen.
    »Es ist nichts, meine liebe Dame. Ich hätte Sie lieber liegen sehen; da es Sie aber aufregt, gehen Sie ohne Furcht, stützen Sie sich auf mich... Ich habe Entbindungen zu acht Monaten vorgenommen, wo die Kinder größer waren als die anderen... Nein, nein, das tut Ihnen nicht so weh wie Sie denken! Wir werden Sie sogleich davon befreien, auf ein Ja und ein Nein werden Sie erlöst sein.«
    Luise beruhigte sich nicht. Ihr Schreien nahm den Charakter schrecklicher Herzensangst an. Sie krampfte sich an die Möbel; für Augenblicke verrieten unverständliche Worte sogar ein wenig Phantasieren. Um Pauline zu beruhigen, erklärte die Hebamme ihr halblaut, daß die mit der Ausdehnung des Muttermundes verbundenen Schmerzen manchmal unerträglicher seien als die großen Wehen des Ausstoßens. Sie habe Fälle gesehen, wo die Vorbereitungsarbeiten beim ersten Kinde zwei Tage dauerten. Sie befürchtete den Abgang des Wassers vor der Ankunft des Arztes; denn der Eingriff, den er dann vorzunehmen genötigt sei, könne gefährlich sein.
    »Es ist nicht zu ertragen,« wiederholte Luise schwer atmend, »es ist nicht zu ertragen... Ich sterbe.«
    Frau Bouland hatte sich entschlossen, ihr zwanzig Tropfen Laudanum in einem halben Glase Wasser zu geben. Dann hatte sie es mit den Reibungen der Lenden versucht. Die arme Frau, welche die Kräfte verlor, überließ sich ihr noch mehr: sie drang nicht mehr darauf, daß Pauline und die Magd sich entfernten, sie verbarg ihre Blöße nur noch unter dem zugeschlagenen Pudermantel, dessen Zipfel sie in ihren gekrampften Händen hielt. Aber die durch die Reibungen erzielte Erleichterung dauerte nicht lange, und ein entsetzliches Zusammenziehen stellte sich von neuem ein.
    »Wir müssen warten«, sagte Frau Bouland ruhig. »Ich vermag durchaus nichts. Man muß die Natur walten lassen.«
    Sie begann ein Gespräch über das Chloroform, gegen das sie allen Widerwillen der alten Schule hatte. Wenn man sie hörte, starben die Wöchnerinnen wie die Fliegen unter den Händen der Ärzte, die dieses Mittel anwendeten. Der Schmerz war notwendig, eine eingeschläferte Frau war nie einer so guten Nachhilfe fähig wie eine wachende.
    Pauline hatte das Gegenteil gelesen. Sie antwortete nicht; ihr Herz war voll Mitleid vor der Wucht des Leidens, das Luise nach und nach vernichtete und aus ihrer Anmut, ihrer blonden, zarten Lieblichkeit einen erschrecklichen Gegenstand des Erbarmens machte. Sie empfand einen Zorn gegen den Schmerz, ein Bedürfnis, ihn zu unterdrücken, das sie ihn wie einen Feind bekämpft hätte, wenn ihr die Mittel dazu bekannt gewesen wären.
    Die Nacht verlief inzwischen, es war gegen zwei Uhr. Luise hatte wiederholt von Lazare gesprochen. Man log, man sagte ihr, daß er unten bleibe, da er selbst so erschüttert sei, daß er sie zu entmutigen fürchte. Übrigens hatte sie keine Vorstellung mehr von der Zeit: die Stunden verstrichen, und die Minuten wurden ihr zu Ewigkeiten.

Weitere Kostenlose Bücher