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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude
Autoren: Emil Zola
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nächsten Tag verschob. Seine Mutter und Pauline gingen ihm bis Verchemont entgegen. Man umarmte sich auf der offenen Straße und kehrte durch den Staub heim, von dem leeren Wagen mit dem Koffer gefolgt. Diese Heimkehr in die Familie aber gestaltete sich weniger heiter als die triumphierende Überraschung im vorhergehenden Jahre. Er war bei dem Juliexamen gefallen und gegen die Professoren verbittert. Den ganzen Abend zog er über sie her, über diese Esel, die er, wie er sagte, im Magen habe. Am folgenden Tage warf er vor Pauline seine Bücher auf ein Brett des Schrankes und erklärte, daß sie seinethalben dort verfaulen könnten. Dieser so schnelle Widerwille brachte sie außer Fassung. Sie hörte ihn erbost die Medizin verspotten und in Abrede stellen, daß sie auch nur einen einfachen Schnupfen zu heilen imstande sei. Als sie eines Tages mit dem Feuer der Jugend und des Glaubens die Wissenschaft verteidigte, wurde sie dunkelrot, so sehr machte er sich über ihre Begeisterung einer Unwissenden lustig. Er fand sich schließlich selbst darein, ein Arzt zu werden; der Schwindel oder ein anderer; im Grunde sei nichts angenehm. Wo hatte er das her? Sicher aus schlechten Büchern. In der Verlegenheit über ihre vollkommene Unwissenheit aber und beklommen durch des Vetters Hohn, der sich stellte, als könne er ihr nicht alles sagen, wagte sie nicht, mit ihm des weiteren darüber zu rechten. So vergingen die Ferien unter beständigen Nörgeleien. Er schien sich jetzt auf ihren Spaziergängen zu langweilen, fand das Meer dumm und immer gleich, während er sich, um die Zeit zu töten, mit dem Dichten von Versen befaßte und auf das Meer sorgfältig bearbeitete und wohlgereimte Sonette schrieb. Er weigerte sich zu baden, da er entdeckt hatte, daß die kalten Bäder seinem Temperament nicht gut täten; denn trotz seiner abfälligen Meinung von der Medizin gab er schneidigen Ansichten Ausdruck und verdammte oder rettete die Menschen mit einem Worte. Gegen Mitte September, als Luise gerade angekommen war, sprach er plötzlich von der Notwendigkeit seiner Rückkehr nach Paris, indem er die Vorbereitungen für sein Examen vorschützte. Die beiden kleinen Mädchen würden ihn vor Langeweile vollends umbringen, so daß es ebenso gut sei, einen Monat früher das Leben im Quartier latin wieder aufzunehmen. Pauline war immer sanfter geworden, je mehr er sie ärgerte. War er schroff, machte es ihm Vergnügen, sie zur Verzweiflung zu bringen, sah sie ihn mit zärtlichen, lächelnden Augen an, mit den nämlichen Blicken, mit denen sie Chanteau beruhigte, wenn er in der Bangigkeit eines Anfalles aufheulte. Nach ihrer Meinung mußte ihr Vetter sehr krank sein, er sah das Leben an wie die Alten.
    Am Tage vor seiner Abreise bezeugte Lazare solche Freude, Bonneville zu verlassen, daß Pauline schluchzte:
    »Du liebst mich nicht mehr!«
    »Bist du dumm! Muß ich nicht meinen Weg machen? ... Ein großes Mädchen wird so greinen!«
    Sie fand ihren Mut wieder und lächelte.
    »Arbeite in diesem Jahr gut, damit du zufrieden heimkehrst.«
    »Oh! Es ist unnütz, soviel zu arbeiten. Ihr Examen ist eine Dummheit! Wenn ich nicht zugelassen bin, so geschah es, weil ich mir keine Mühe darum gegeben habe ... Ich werde es bestehen müssen; der Mangel an Vermögen hindert mich, mit verschlungenen Armen zu leben, das einzige Vernünftige, was ein Mensch tun könnte.«
    In den ersten Oktobertagen, nach der Rückkehr Luisens nach Caen, begann Pauline wieder den Unterricht bei der Tante. Der Kursus des dritten Jahres brachte besonders die gesäuberte Geschichte Frankreichs und die Götterlehre für den Gebrauch junger Mädchen, ein höherer Unterricht, der sie in den Stand setzen sollte, die Gemälde im Museum zu verstehen. Aber das Kind, das im vorhergehenden Jahre so fleißig gewesen, schien jetzt einen schweren Kopf zu haben: sie schlief öfter bei der Anfertigung ihrer Aufgaben ein, plötzliche Hitze färbte ihr Gesicht purpurn. Ein heftiger Zornesanfall gegen Veronika, die sie nach ihrer Behauptung nicht liebte, hatte sie für zwei Tage auf das Bett geworfen. Dann gingen Veränderungen in ihr vor, die sie beunruhigten: eine langsame Entwicklung ihres ganzen Körpers, allmählich und schier schmerzlich anschwellende Rundungen, schwarze Schatten von der Leichtigkeit des Flaums an der verborgensten und zartesten Stelle ihrer Haut. Wenn sie sich beim Schlafengehen mit einem flüchtigen Blick betrachtete, empfand sie ein Unbehagen, eine Beschämung, daß sie
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