Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude
Autoren: Emil Zola
Vom Netzwerk:
schleunig die Kerze ausblies. Ihre Stimme nahm eine Tiefe an, die sie häßlich fand; sie mißfiel sich so, sie brachte die Tage in einer Art nervöser Erwartung hin und hoffte, sie wußte nicht was, ohne zu wagen von diesen Dingen mit jemand zu sprechen.
    Gegen Weihnachten beunruhigte schließlich der Zustand Paulinens Frau Chanteau. Das Kind beklagte sich über heftige Lendenschmerzen, eine Steifheit befiel sie, es zeigten sich Fieberanfälle. Als Doktor Cazenove, der ihr erklärter Freund geworden war, sie befragt hatte, nahm er ihre Tante beiseite und riet ihr, die Nichte aufzuklären. Es war die Woge der Mannbarkeit, die in Pauline emporstieg; und er erzählte, daß er gesehen habe, wie junge Mädchen bei dem plötzlichen Hereinbrechen dieses Blutes vor Entsetzen erkrankt seien. Die Tante wollte sich zuerst dagegen verwahren und fand diese Vorsicht übertrieben, da sie keine Freundin derartiger Vertraulichkeiten war: ihr Erziehungssystem war für die vollkommene Unwissenheit, für das Vermeiden alles Peinlichen, soweit dieses sich nicht von selbst aufdrängte. Da jedoch der Arzt darauf bestand, versprach sie mit Pauline davon zu reden; sie tat aber des Abends nichts in der Angelegenheit und verschob sie in der Folge von Tag zu Tag. Das Kind sei nicht furchtsam; außerdem seien viele andere ebensowenig zuvor aufgeklärt worden. Es werde noch immer Zeit sein, ihr einfach zu sagen, daß die Dinge nun einmal so seien, ohne sich von vornherein unpassenden Fragen und Erklärungen auszusetzen.
    Als eines Morgens Frau Chanteau gerade ihr Zimmer verließ, hörte sie bei Pauline Schmerzensschreie und stieg sehr beunruhigt zu ihr hinauf. Mitten im Bette sitzend, die Decken zurückgeworfen, schrie das junge Mädchen bleich vor Entsetzen nach der Tante. Sie spreizte ihre blutige Blöße; von einem Erstaunen erfaßt, dessen Erschütterung ihre gewohnte Tapferkeit weggeblasen hatte, beschaute sie, was aus ihr hervorgekommen.
    »Tante! Tante!«
    Frau Chanteau übersah die Lage mit einem Blick.
    »Das ist nichts, meine Liebe. Beruhige dich.«
    Aber Pauline, die sich immer noch mit der steifen Haltung einer Verwundeten betrachtete, hörte nicht einmal, was sie sagte.
    »Tante, ich habe mich ganz durchnäßt gefühlt und sieh nur, sieh nur, das alles ist Blut! ...«
    Ihre Stimme erstarb, sie glaubte, daß ihre Adern sich durch diesen roten Fluß entleerten. Der Schrei ihres Vetters kam ihr auf die Lippen, dieser Schrei der Furcht vor dem grenzenlosen Himmel, dessen Verzweiflung sie nicht verstanden hatte.
    »Alles ist zu Ende, ich werde sterben.«
    Bestürzt suchte die Tante nach wohlanständigen Worten; nach einer Lüge, die Pauline beruhige, ohne sie aufzuklären.
    »Höre nur: ängstige dich nicht; ich würde viel besorgter sein, wüßte ich dich in Gefahr? Ich versichere dir, daß alle Frauen das bekommen. Das ist geradeso wie Nasenbluten! ...«
    »Nein, nein, du sagst es zu meiner Beruhigung ... Ich werde sterben ... ich werde sterben.«
    Es war keine Zeit mehr. Als Doktor Cazenove kam, fürchtete er ein Gehirnfieber. Frau Chanteau hatte das Mädchen sich niederlegen lassen und beschämte sie wegen ihrer Furcht. Tage vergingen, Pauline hatte den Anfall überstanden und dachte von da erstaunt an neue, unklare Dinge, heimlich eine Frage hütend, auf welche sie die Antwort suchte.
    In der darauffolgenden Woche machte sich Pauline von neuem an die Arbeit und schien sich für die Götterlehre zu begeistern. Sie verließ das ihr noch immer als Studierzimmer dienende große Gemach Lazares nicht mehr; man mußte sie zu jeder Mahlzeit rufen und sie erschien geistesabwesend, von einer empfindungslosen Gleichgültigkeit befallen. Oben aber lag die Götterlehre unberührt am Ende des Tisches; mit den im Schranke zurückgebliebenen medizinischen Werken verbrachte sie ganze Tage, die Augen weit geöffnet in dem Bedürfnis nach Wissen, die Stirne auf beide Hände gestützt. Lazare hatte in den schönen Tagen der Begeisterung Bücher gekauft, die ihm von keinem augenblicklichen Nutzen waren, so die »Abhandlung über Physiologie« von Longuet, die »beschreibende Anatomie« von Cruveillier. Gerade diese waren zurückgeblieben, während er seine zum Studieren notwendigen Bücher wieder mitgenommen hatte. Sie holte sie hervor, sobald die Tante den Rücken kehrte, und stellte sie bei dem geringsten Geräusche weg ohne Hast, nicht wie eine schuldbewußte Neugierige, sondern wie eine Lernbegierige, deren Neigung von den Eltern nicht gebilligt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher