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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude
Autoren: Emil Zola
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welchem Lazare seinen Koffer packte, sah Pauline ihn die Bücher aufschichten, die er mitgebracht hatte und die im Schrank verschlossen geblieben waren, ohne daß ihm auch nur je der Gedanke gekommen wäre, eines von ihnen zu öffnen.
    »So nimmst du sie also mit fort?« fragte sie in betrübtem Tone.
    »Gewiß!« antwortete er. »Ich gebrauche sie für mein Studium... Ah! Donnerwetter, wie werde ich arbeiten! Ich muß allem bis auf den Grund kommen.«
    Tiefe Stille breitete sich wieder über das kleine Haus in Bonneville, die Tage flossen einförmig dahin und brachten die täglichen Gewohnheiten angesichts des ewigen Rhythmus des Weltmeeres mit sich. In jenem Jahr aber machte eine Begebenheit einen tiefen Kerb in Paulines Leben. Sie nahm im Monat Juni ihr erstes Abendmahl im Alter von zwölfundeinhalb Jahren. Langsam hatte sich die Religion ihrer bemächtigt, eine ernste Religion, erhabener als die Antworten des Katechismus, die sie unablässig hersagte, ohne sie zu verstehen. Sie war in ihrem jungen, forschenden Kopfe dahin gelangt, sich Gott als einen allmächtigen, weisen Gebieter vorzustellen, der alles so leitete, daß auf Erden alles gerecht vor sich ging; diese vereinfachte Auffassung genügte ihr zu ihrer Übereinstimmung mit dem Abbé Horteur. Dieser, ein Bauernsohn, in dessen harten Schädel nur der Buchstabe Eingang gefunden, hatte sich schließlich zu dem Standpunkte bekannt, daß mit den äußeren Übungen einer wohlanständigen Frömmigkeit Genüge getan sei. Er für seine Person war auf sein Seelenheil bedacht, um so schlimmer für seine Pfarrkinder, wenn sie sich in die Verdammnis stürzten. Er hatte seit fünfzehn Jahren ohne Erfolg versucht, sie in Furcht zu setzen; jetzt verlangte er von ihnen nur die Höflichkeit, an großen Festtagen zur Kirche heraufzusteigen. Ganz Bonneville ging in einem Überreste von Gewohnheit trotz der Sünde, an der das Dorf krankte, dort hinauf, die Gleichgültigkeit für das Seelenheil der anderen ersetzte bei dem Priester die Duldsamkeit. Er ging alle Sonnabend zu Chanteau, um mit ihm Dame zu spielen, obwohl der Bürgermeister dank der Entschuldigung mit seiner Gicht nie einen Fuß in die Kirche setzte. Frau Chanteau tat im übrigen das Notwendige, indem sie regelmäßig den Gottesdiensten beiwohnte und Pauline mit sich nahm. Die große Einfachheit des Pfarrers gewann das Kind nach und nach. In Paris sprach man von den Pfarrern, diesen Heuchlern, deren schwarze Amtskleider alle Verbrechen verhüllten, mit Verachtung. Aber dieser, der am Ufer des Meeres lebte, schien ihr wirklich ein wackerer Mann mit seinen plumpen Stiefeln, seinem sonnverbrannten Nacken, dem Benehmen und der Sprache eines armen Pächters. Eine Beobachtung hatte sie vor allem erobert: Abbé Horteur rauchte leidenschaftlich eine große Meerschaumpfeife; da er aber trotzdem noch Gewissensbisse darüber empfand, flüchtete er damit an das Ende seines Gartens mitten unter seine Salatstauden; und diese Pfeife, die er verlegen versteckte, wenn man ihn dabei überraschte, rührte die Kleine ungemein, ohne daß sie eigentlich hätte sagen können, warum. Sie nahm mit sehr ernster Miene das heilige Abendmahl gemeinschaftlich mit zwei anderen kleinen Mädchen und einem Jungen aus dem Dorfe. Am Abend erklärte der Pfarrer, der bei den Chanteau speiste, er habe in Bonneville noch nie eine Kommunikantin gehabt, die so sittsam an den heiligen Tisch des Herrn getreten sei.
    Das Jahr war weniger gut, die von Davoine seit langer Zeit erwartete Preissteigerung in Tannen stellte sich nicht ein, und schlechte Nachrichten kamen aus Caen: man versicherte, daß er mit Verlust zu verkaufen gezwungen, unaufhaltsam einer Katastrophe entgegeneile. Die Familie lebte kärglich, die dreitausend Franken Zinsen reichten gerade für die genauesten Bedürfnisse hin, man zwackte sich die geringsten Vorräte ab. Frau Chanteaus große Sorge war Lazare, von dem sie Briefe empfing, die sie für sich behielt. Er schien zu vergeuden und verfolgte sie mit unaufhörlichen Bitten um Geld. Als sie im Juli Paulinens Zinsen einzog, fiel sie heftig über Davoine her. Schon waren zweitausend Franken von ihm in die Hände des jungen Mannes übergegangen, und es gelang ihr, ihm noch weitere tausend zu entreißen, die sie dem Sohne umgehend nach Paris schickte. Lazare schrieb ihr, daß er nicht kommen könne, wenn er nicht vorher seine Schulden bezahle.
    Man erwartete ihn eine volle Woche. Jeden Morgen kam ein Brief, in dem er seine Abreise auf den
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