Die Lebensfreude
verlegen und suchte sich zu befreien.
Nach und nach zog er sie an sich und spielte noch so mit ihr wie zu der Zeit ihrer Schulfreundschaft. Plötzlich drückte sie ihm einen schallenden Kuß auf die Wange, den er ihr auf ein Ohr wiedergab. Dann fuhr er, von einem nicht eingestandenen Gedanken trübe gestimmt, fort:
»Du bist einen seltsamen Handel eingegangen, mein armes Kind! Wenn du wüßtest, wie alt ich im Grunde bin! ... Aber schließlich bist du ja mit mir zufrieden!«
Die Mahlzeit verlief geräuschvoll. Alle sprachen zugleich, machten Zukunftspläne, als befänden sie sich zum ersten Male beisammen. Veronika, die mitten in der Verlobungsszene in das Zimmer getreten war, schlug hastig, ohne ein Wort zu sagen, die Küchentür zu. Beim Nachtisch wurden endlich die ernsten Fragen erörtert. Die Mutter erklärte, daß die Hochzeit nicht vor zwei Jahren stattfinden könne: ihr solle nicht vorgeworfen werden, daß sie mit Hilfe ihres Sohnes einen Druck auf das noch junge Kind ausgeübt habe. Diese Frist von zwei Jahren machte Pauline ungemein bestürzt, aber die Ehrlichkeit der Tante rührte sie so ungemein, daß sie aufstand, um sie zu küssen. Man setzte einen Termin fest, die jungen Leute würden sich gedulden und inzwischen die ersten Taler von den zukünftigen Millionen verdienen. Die Geldfrage wurde mit Begeisterung behandelt.
»Nimm aus dem Schubfach, Tante«, wiederholte das junge Mädchen, »alles, was du willst! Es gehört ihm jetzt ebenso gut wie mir.«
Frau Chanteau erklärte sich dagegen.
»Nein, nein, es wird kein Sou unnütz herausgenommen. Du weißt, man kann schon Vertrauen zu mir haben, eher ließe ich mir die Hände abschneiden ... Ihr gebraucht da unten noch zehntausend Franken; ich gebe euch diese zehntausend Franken und schließe dann doppelt ab. Das Geld ist geheiligt.«
»Mit zehntausend Franken ist mir der Erfolg sicher«, sagte Lazare. »Die größten Ausgaben sind gemacht, es wäre ein Verbrechen, den Mut zu verlieren. Ihr werdet sehen; ihr werdet sehen! Und dich, meine Vielgeliebte, werde ich am Hochzeitstage mit einem goldenen Kleide schmücken.«
Die Freude wurde durch die plötzliche Ankunft des Doktors Cazenove vermehrt. Er war ins Dorf gekommen, um einem Fischer, der sich die Finger unter einem Boot zerquetscht hatte, einen Verband anzulegen; und man hielt ihn zurück, man zwang ihn, eine Tasse Tee zu trinken. Die große Neuigkeit schien ihn nicht zu überraschen. Nur als er die Chanteau über die Ausbeutung der Algen sich begeistern hörte, sah er Pauline unruhig an.
»Zweifelsohne ist der Gedanke sinnreich, man kann einen Versuch machen«, sagte er. »Aber Renten zu haben ist noch viel sicherer. An eurer Stelle würde ich mich sogleich in mein Nest zurückziehen und glücklich sein.«
Er unterbrach sich, da er einen Schatten die Augen des jungen Mädchens verdunkeln sah. Die lebhafte Neigung, die er für Pauline empfand, ließ ihn gegen seine Überzeugung fortfahren:
»Das Geld hat sein Gutes, – verdient nur recht viel davon ... Ihr wißt, ich tanze auf eurer Hochzeit. Ja, ich werde den Zambuco der Karaiben tanzen, den ihr, wette ich, noch nicht kennt ... Wartet. Beide Hände wie Mühlenflügel vor dem Winde, und dabei schlägt man sich auf die Schenkel und dann immer herum um den Gefangenen, wenn er gar gebraten ist und die Weiber ihn zerlegen.«
Die Monate vergingen weiter. Jetzt hatte Pauline ihre heitere Ruhe wiedergefunden, nur die Ungewißheit belastete ihre freimütige Natur. Das Bekenntnis ihrer Liebe, der für die Heirat festgesetzte Termin schienen selbst den Aufruhr ihres Fleisches beschwichtigt zu haben. Sie nahm ohne Fieber das Aufblühen des Lebens hin, diese langsame Entwicklung ihres Körpers, diese rote Woge ihres Blutes; alles das, was sie einen Augenblick bei Tage gequält und ihr des Nachts Gewalt angetan hatte. War es nicht das gemeinsame Gesetz? Man wußte heranwachsen, um zu lieben. Übrigens änderte sich ihr Verhältnis zu Lazare kaum, alle beide setzten ihr Leben in gemeinsamer Arbeit fort; er in steter Geschäftigkeit, vor einem Ausbruch der Triebe durch seine Abenteuer in den Mietswohnungen geschützt, sie so schlicht und rechtlich in der Ruhe des wissenden jungfräulichen Mädchens, daß sie wie durch eine doppelte Rüstung dagegen geschützt war. Manchmal indessen nahmen sie sich in dem überfüllten Zimmer bei den Händen und lachten mit zärtlicher Miene. Bald war es eine physiologische Abhandlung, die sie miteinander durchblätterten,
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