Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
Vom Netzwerk:
jede Verlegenheit erzählte. Frei erzogen, zeigte sie den ruhigen Mut der Barmherzigkeit gegenüber den Schmählichkeiten der Menschen, wußte alles und sprach von allem mit dem Freimut ihrer Unschuld. Die Andere dagegen, durch die zehn Jahre ihres Pensionslebens aufgeklärt, errötete bei den Vorstellungen, welche die Worte in ihrem, durch die Träume des gemeinsamen Schlafsaales verheerten Kopfe erweckten. Das waren Dinge, an die man dachte, von denen man aber nicht reden mußte.
    »Halt!« sagte Pauline, »die letzte Kleine, diese Blondine von neun Jahren, so nett und rosig, ist gerade die Tochter der Gonin, bei der sich dieser Taugenichts von Cuche eingenistet hat. Die Gonin, die ganz zufrieden lebten, besaßen ein Boot, allein der Vater bekam es an den Beinen, eine in unsern Dörfern sehr häufig auftretende Lähmung, und Cuche, einfacher Bordmatrose, wurde bald Herr der Barke und der Frau. Jetzt gehört das Haus ihm, er schlägt auf den Kranken, einen großen, alten Menschen herum, der Tag und Nacht in einer alten Kohlenkiste liegt, während der Matrose und die Base in dem nämlichen Zimmer im Bette liegen... Seitdem gebe ich mich mit dem Kinde ab. Das Unglück ist, daß auch sie zuweilen Hiebe abbekommt; abgesehen davon ist sie schon viel zu klug, und sieht Dinge...«
    Sie unterbrach sich und befragte die Kleine.
    »Wie geht es bei euch?«
    Diese hatte mit den Augen die halblaute Erzählung verfolgt. Ihr niedliches Gesicht einer lasterhaften, kleinen Dirne lachte spitzbübisch bei den von ihr erratenen Einzelheiten.
    »Sie haben ihn wieder geprügelt«, sagte sie, ohne in ihrem Lachen innezuhalten. »Heute Nacht ist Mutter aufgestanden und hat ein dickes Scheit genommen... Ach, Fräulein, Sie sind wohl so gut und geben ihm ein wenig Wein, denn sie haben ihm einen Krug vor die Kiste gestellt und geschrien, er solle krepieren.«
    Luise machte eine Bewegung der Entrüstung. Welch abscheuliches Volk! Und ihre Freundin hatte Teilnahme für solche Schandmenschen! War es möglich, daß es dicht bei einer so großen Stadt wie Caen noch Löcher gab, in denen die Bewohner wie die wahren Wilden hausten? Schließlich konnten doch nur Wilde alle göttlichen und menschlichen Gesetze derart verletzen!
    »Nein, meine Liebe,« murmelte sie und ließ sich neben Chanteau nieder, »ich habe genug von deinen kleinen Freunden. Das Meer mag sie ausmerzen, ich würde sie nicht beklagen!«
    Der Abbé machte soeben Dame. Er rief:
    »Sodom und Gomorrha!... Ich prophezeie es ihnen seit zwanzig Jahren! Desto schlimmer für sie!«
    »Ich bin um eine Schule eingekommen«, sagte Chanteau, der betrübt die Partie verloren sah. »Aber sie sind nicht zahlreich genug; ihre Kinder sollen nach Verchemont zum Unterricht, doch sie gehen nicht in die Schule, sondern streichen längs der Landstraße herum.«
    Pauline schaute sie verwundert an. Wenn die Elenden saubere Leute wären, brauchte man sie nicht zu waschen. Übel und Elend gingen zusammen: sie hatte keinen Abscheu vor dem Leiden, selbst wenn ihr dieses das Ergebnis des Lasters schien. Mit einer weit ausholenden Bewegung begnügte sie sich von der Duldsamkeit ihrer Barmherzigkeit zureden. Sie versprach gerade der kleinen Gonin, ihren Vater zu besuchen, als Veronika kam und ein anderes Mädchen vor sich herschob.
    »Da haben Sie, Fräulein. Hier ist noch eine!«
    Diese zuletzt Gekommene, ein ganz junges Ding von fünf Jahren, ging vollständig in Lumpen, ihr Gesicht war schwarz, die Haare zerzaust. Mit der außerordentlichen Sicherheit eines schon mit dem Bettelwesen auf den Straßen vertrauten kleinen Ausbundes hob sie sofort zu jammern an.
    »Haben Sie Mitleid... Mein armer Vater hat sich das Bein gebrochen...«
    »Das ist die Tochter der Tourmal, nicht wahr?« fragte Pauline die Magd.
    Aber der Pfarrer brauste auf.
    »Ah, diese Lügnerin! Hören Sie nicht auf sie; ihr Vater hat sich schon vor fünfundzwanzig Jahren den Fuß zerquetscht ... Eine Diebsfamilie, die vom Raube lebt... Der Vater hilft schmuggeln, die Mutter bestiehlt die Felder von Verchemont, der Großvater sammelt des Nachts Austern im staatlichen Gehege zu Roqueboise. Und Sie sehen selbst, was sie aus ihrer Tochter machen, eine Bettlerin, eine Spitzbübin, die sie zu den Leuten schicken, um alles zu klemmen, was herumliegt... Schauen Sie nur, wie sie nach meiner Tabaksdose schielt!«
    Die lebhaften Augen des Kindes, die zuerst alle Ecken der Terrasse abgesucht, hatten in der Tat beim Anblick der alten Tabaksdose des Priesters

Weitere Kostenlose Bücher