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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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eine blitzartige Flamme durchzuckt. Sie verlor aber ihre Sicherheit nicht, sie wiederholte, als habe der Geistliche ihre Geschichte nicht erzählt:
    »Das Bein gebrochen ... Geben Sie mir etwas, gutes Fräulein.«
    Diesmal begann Luise zu lachen, so drollig erschien ihr diese fünfjährige Spottgeburt, bereits verderbt wie Vater und Mutter. Pauline war ernst geblieben, sie langte ihren Geldbeutel hervor und entnahm ihm ein neues Fünffrankenstück.
    »Höre,« sagte sie, »du sollst alle Sonnabend soviel haben, wenn ich erfahre, daß du die ganze Woche nicht auf den Straßen herumgelaufen bist.«
    »Verstecken Sie die Gedecke!« rief abermals Abbé Horteur. »Sie wird Sie bestehlen!«
    Pauline aber verabschiedete die Kinder, ohne zu antworten. Diese trollten, ihre Latschen nachschleppend, mit einem »schönen Dank«, und »Gott vergelt es Ihnen« von dannen. Indessen schalt Frau Chanteau, die soeben von der Inaugenscheinnahme des für Luise bestimmten Zimmers zurückgekommen war, leise auf Veronika. Es sei unerträglich, selbst die Magd beginne die Bettler einzuführen. Als ob das Fräulein nicht schon genug in das Haus schleppe! Ein Haufe Gezücht, das sie auffresse und sich hinterher noch über sie lustig mache. Das Geld gehöre allerdings ihr, und sie könne es nach ihrem Belieben zum Fenster hinauswerfen, aber diese Begünstigung des Lasters werde wahrhaftig geradehin zur Unmoral. Frau Chanteau hatte noch gehört, wie das junge Mädchen der kleinen Tourmal für jeden Sonnabend hundert Sous versprach. Abermals zwanzig Franken monatlich. Das Vermögen eines Satrapen würde hier nicht ausreichen.
    »Du weißt, daß ich diese Diebin nicht wieder sehen will«, sagte sie zu Pauline. »Wenn du auch jetzt Herrin deines Vermögens bist, kann ich doch nicht deinen törichten Ruin zugeben. Ich habe eine moralische Verantwortlichkeit ... Ja, du wirst dich ruinieren, meine Liebe und schneller, als du glaubst!«
    Veronika, die wütend über den von der Frau erhaltenen Verweis in die Küche zurückgekehrt war, erschien jetzt wieder mit der schroff herausgestoßenen Meldung:
    »Der Schlächter ist hier... Er will bezahlt sein; sechsundvierzig Franken zehn Centimes.«
    Eine große Bestürzung schnitt Frau Chanteau das Wort ab. Sie kramte in den Taschen und machte eine Bewegung des Erstaunens. Dann fragte sie leise:
    »Sage, Pauline, hast du soviel bei dir? Ich habe kein kleines Geld zur Hand, ich müßte erst nach oben gehen. Wir rechnen später ab.«
    Pauline folgte dem Mädchen, um dem Schlächter zu zahlen. Seit sie das Geld in der Kommode hatte, begann diese Komödie jedesmal von neuem, sooft eine Rechnung vorgezeigt wurde. Es war dies eine regelmäßige Ausbeutung in Gestalt kleiner Beträge, die ganz natürlich schien. Die Tante machte sich nicht einmal mehr die Mühe, von dem Haufen zu nehmen: sie forderte und ließ das junge Mädchen sich mit eigenen Händen ausplündern. Zuerst hatte man abgerechnet, man gab ihr zehn und fünfzehn Franken wieder; mit der Zeit jedoch hatten sich die Abrechnungen derart verwickelt, daß man nur noch von späteren Auseinandersetzungen sprach zur Zeit der Heirat; das hinderte sie aber keineswegs, am ersten Tage jedes Monats pünktlich ihre Pension zu zahlen, die jene auf neunzig Franken emporgeschraubt hatten.
    »Wieder Ihr Geld, das dahin tanzt«, brummte Veronika im Flur. »Ich an Ihrer Stelle hätte sie ihren Geldbeutel holen lassen!... Gott kann nicht zugeben, daß man Ihnen auf diese Weise die Wolle vom Rücken frißt.«
    Als Pauline mit der quittierten Rechnung zurückkam und sie der Tante übergab, triumphierte der Geistliche eben laut. Chanteau war geschlagen; er sollte wirklich keine einzige Partie gewinnen. Die Sonne ging unter, die schrägen Strahlen tauchten das Meer in Purpur, das langsam stieg. Luise lächelte mit traumverlorenen Blicken dieser Freude des unermeßlichen Horizontes zu.
    »Seht doch, Luisette auf der Reise nach den Wolken«, sagte Frau Chanteau. »Du, Luisette, ich habe deinen Koffer hinaufbringen lassen. Wir sind wieder einmal Nachbarn!«
    Lazare kam erst am folgenden Tage heim. Nach seinem Besuch bei dem Unterpräfekten hatte er sich entschlossen, nach Caen zu gehen, um den Präfekten aufzusuchen. Wenn er auch nicht den staatlichen Zuschuß in seiner Tasche mitbrachte, war er doch überzeugt, wie er sagte, daß der Generalrat wenigstens den Betrag von zwölftausend Franken bewilligen werde. Der Präfekt hatte ihn bis an die Tür begleitet und sich durch

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