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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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Hause fliehen, wo sie jemand morden wollte. Das junge Mädchen und die Magd mußten ihre ganzen Kräfte aufbieten, um sie zurückzuhalten.
    »Laßt mich, ihr wollt mich töten lassen... Ich muß gleich fort, gleich!«
    Veronika versuchte sie zu beruhigen.
    »Sehen Sie doch uns an... Halten Sie uns für fähig, Ihnen etwas Böses zu tun?«
    Die Sterbende atmete erschöpft einen Augenblick. Sie schien mit ihren verschleierten, zweifelsohne nichts mehr sehenden Augen in dem Zimmer etwas zu suchen. Dann begann sie von neuem:
    »Schließt den Schreibsekretär... Dort in dem letzten Schubkasten ist es... Sie kommt schon nach oben. Ich fürchte mich, ich höre sie! Gebt ihr nicht den Schlüssel, laßt mich gehen, sofort, sofort...«
    Sie wand sich in den Kissen, während Pauline sie hielt.
    »Tante, es ist kein Mensch außer uns hier!«
    »Nein, nein, hört, da ist sie... Mein Gott!... Ich muß sterben, diese Schanddirne hat mich alles trinken lassen. Ich sterbe.
    Ihre Zähne schlugen zusammen, sie flüchtete sich in die Arme ihrer Nichte, die sie nicht mehr erkannte. Diese preßte sie schmerzlich an ihr Herz; sie stand davon ab, den abscheulichen Verdacht zu bekämpfen und ergab sich darin, sie ihn mit ins Grab nehmen zu lassen.
    Glücklicherweise war Veronika wach. Sie streckte ihre Hände aus und flüsterte:
    »Nehmen Sie sich in acht, Fräulein!«
    Das war das letzte Aufflackern. Mit einer heftigen Bewegung war es ihr gelungen, die geschwollenen Beine aus dem Bette zu schleudern, und ohne das Zuspringen der Magd wäre sie zu Boden gefallen. Eine Raserei hatte sie ergriffen, sie stieß nur noch unverständliche Laute aus; mit zusammengeballten Fäusten wie zu einem Kampfe Leib an Leib schien sie sich gegen eine Erscheinung zu verteidigen, die sie an der Kehle gepackt hatte. In diesem letzten Augenblicke mußte sie wohl das Ende fühlen, sie öffnete wieder ihres klugen, vom Entsetzen erweiterten Augen. Ein ungeheurer Schmerz ließ sie einen Augenblick die Hände an die Brust führen. Dann fiel sie in die Kissen zurück und wurde schwarz. Sie war tot.
    Eine tiefe Stille trat ein. Pauline, völlig erschöpft, wollte ihr noch die Augen schließen; das war das letzte, das sie sich vorgenommen hatte. Als sie das Zimmer verließ, während Veronika und Frau Prouane, die sie nach dem Besuch des Arztes hatte rufen lassen, als Wache zurückblieben, verließen sie auf der Treppe ihre Kräfte; sie mußte sich einen Augenblick auf eine Stufe niedersetzen. Denn sie hatte nicht mehr den Mut hinunterzugehen, um Lazare und Chanteau den Tod anzuzeigen. Die Mauern drehten sich um sie. So verstrichen einige Minuten; sie ergriff das Treppengeländer, hörte im Eßzimmer die Stimme des Abbé Horteur und zog deshalb vor, in die Küche zu gehen. Dort aber bemerkte sie Lazare, dessen dunkle Umrisse sich von den roten Streiflichtern des Ofens abhoben. Ohne zu sprechen, schritt sie mit geöffneten Armen auf ihn zu. Er hatte verstanden, er sank an die Schulter des jungen Mädchens, während dieses ihn in langer Umarmung an sich drückte. Dann küßten sie sich auf die Wange. Sie weinte still vor sich hin, er konnte keine Träne vergießen; die Kehle war ihm so zusammengeschnürt, daß er nicht mehr atmen konnte. Endlich löste sie ihre Arme, und die ersten Worte, die ihr auf die Lippen kamen, waren: »Warum bist du ohne Licht?«
    Er machte eine Bewegung, als wolle er sagen, daß er in seinem Kummer kein Licht benötige.
    »Man muß ein Licht anzünden«, begann sie von neuem.
    Lazare war unfähig, sich aufrecht zu halten, auf einen Stuhl gesunken. Mathieu machte unruhig die Runde im Hofe und schnupperte in der feuchten Nachtluft umher. Er kam endlich herein, schaute einen nach dem andern starr an und legte seinen dicken Kopf auf ein Knie seines Herrn; unbeweglich befragte er ihn so aus nächster Nähe. Vor den Blicken des Hundes begann Lazare zu zittern. Plötzlich flössen seine Tränen, er brach in heftiges Schluchzen aus, und die Hände schlangen sich um dieses alte Haustier, das seine Mutter seit vierzehn Jahren liebte.
    »Ach! mein armer Dicker, mein armer Dicker... Wir sehen sie nicht mehr!«
    Pauline hatte trotz ihrer Erregung endlich ein Wachslicht gefunden und angezündet. Glücklich über seine Tränen, versuchte sie, ihn nicht mehr zu trösten. Eine schmerzliche Aufgabe blieb ihr noch, ihren Onkel zu benachrichtigen. Als sie sich endlich in das Eßzimmer zu begeben entschloß, in das Veronika seit der Dämmerung eine Lampe gebracht,

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