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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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Füße streifte, beugte er sich vorn über, um zu sehen, was man auf das Schild geschrieben hatte. Hier, wo der Flur breiter war, schritten die Männer flink auf die Tragbahre zu, die in dem Vorflur des Hauses aufgestellt war. Er sah noch immer hin, sah vierzig Jahre seines Lebens davongehen, Dinge von ehemals, die guten und die schlechten, und beklagte sie tief bekümmert, wie man die verlorene Jugend beklagt. Hinter seinem Lehnstuhle weinten Pauline und Lazare.
    »Nein, nein, laßt mich«, sagte er zu ihnen, als sie sich anschickten, ihn an seinen Platz im Eßzimmer zurückzurollen. »Geht nur, ich will zusehen.«
    Man hatte den Sarg auf die Tragbahre gestellt, andere Männer hoben ihn empor. Das Trauergefolge ordnete sich im Hofe, der mit Leuten aus dem Dorfe angefüllt war. Der bereits seit dem Morgen eingesperrte Mathieu heulte mitten in dem tiefen Schweigen hinter der Schuppentür, während Minouche vom Küchenfenster aus mit erstaunter Miene alle diese Menschen und diesen Kasten betrachtete, der davongetragen wurde. Als man sich nicht schnell genug entfernte, leckte sich die Katze gelangweilt den Bauch.
    »Du gehst also nicht mit?« fragte Chanteau Veronika, die er neben sich bemerkte.
    »Nein, Herr Chanteau«, sagte sie mit erstickter Stimme, »das Fräulein hat mich beauftragt, bei Ihnen zu bleiben.«
    Die Glocke der Kirche läutete noch immer, der Leichnam verließ endlich im vollen Sonnenlichte, von Lazare und Pauline in tiefer Trauer gefolgt, den Hof. Im Türrahmen des offen gelassenen Flurs sah ihn Chanteau von seinem Krankenstuhle aus scheiden.

Siebentes Kapitel.
    Die Umständlichkeit der Beisetzungsfeierlichkeit und einige Besorgungen hielten Lazare und Pauline zwei Tage in Caen zurück. Als sie nach einem letzten Besuche von dem Kirchhofe heimkamen, hatte sich das Wetter geändert, ein heftiger Sturm blies auf die Küsten. Sie fuhren von Arromanches bei strömendem Regen ab, der Wind wehte mit solcher Wut, daß das Verdeck des Wagens abgerissen zu werden drohte. Pauline gedachte ihrer ersten Reise, als Frau Chanteau sie von Paris abgeholt hatte: damals war ein ähnlicher Sturm gewesen wie dieser; die arme Tante hatte ihr verboten, sich aus dem Wagen zu beugen, und hatte ihr alle Augenblicke das Halstuch fester geknüpft. In seiner Ecke träumte auch Lazare; auch er sah seine Mutter auf der Landstraße, wie sie vor Ungeduld brannte, ihn bei seiner jedesmaligen Heimkehr zu umarmen: einmal im Dezember hatte sie zwei Meilen Wegs zu Fuß gemacht; er fand sie auf diesem Grenzstein sitzen. Der Regen strömte ohne Unterlaß, das junge Mädchen und der Vetter wechselten von Arromanches bis Bonneville kein Wort.
    Als man ankam, hörte indes gerade der Regen auf; aber der Wind verdoppelte seine Wut; der Kutscher mußte absteigen und das Pferd am Zügel führen. Endlich hielt der Wagen vor der Tür; gerade rannte der Fischer Houtelard eilig vorbei. »Herr Lazare,« schrie er, »dieses Mal steht es verdammt schlecht!... Die See zertrümmert Ihnen Ihre Maschine.«
    Von dieser Krümmung des Weges aus konnte man das Meer nicht sehen. Der junge Mann blickte nach oben und bemerkte Veronika auf der Terrasse, die Blicke dem Strande zugewandt. Auf der andern Seite, an seine Gartenmauer gelehnt, blickte aus Furcht, daß der Wind seine Sutane zerfetze, auch Abbé Horteur nach derselben Richtung.
    »Es spült Ihre Palisaden weg!«
    Lazare ging sofort zum Strande hinunter, und Pauline folgte ihm trotz des schlechten Wetters. Als sie am Fuße des Abhanges in das Freie getreten waren, blieben sie, von dem ihrer dort harrenden Schauspiele ergriffen, wie festgebannt stehen. Die Flut, eine mächtige Septemberflut, stieg mit ungeheurem Getöse; sie war zwar nicht als gefährlich angekündigt worden; der Sturm aber, der seit dem Tage vorher aus Norden wehte, schwellte sie so über alles Maß an, daß wahre Wasserberge sich am Horizonte erhoben, über die Klippen fortrollten und dort zerbarsten. In der Ferne war das Meer schwarz unter dem Schatten der Wolken, die an dem fahlen Himmel dahin jagten.
    »Kehre um«, sagte der junge Mann zu seiner Base. »Ich will nur einen Augenblick schauen und komme gleich nach.«
    Sie antwortete nicht, sondern folgte ihm an den Strand. Dort hatten die Balken und eine erst kürzlich angelegte Verpfählung einen fürchterlichen Anprall auszuhalten. Die immer mächtiger werdenden Wogen prallten wie Sturmböcke an, eine nach der andern; ihr Heer war zahllos, immer neue Massen rollten daher. Große,

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