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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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alles vorüber, um endlich von dieser entsetzlichen Erwartung auszuruhen. Als er gegen vier Uhr wieder einmal in sein Zimmer ging, trat er plötzlich bei seiner Mutter ein, er wollte sie sehen und empfand plötzlich das Bedürfnis, sie noch einmal zu umarmen. Als er sich aber über sie beugte, fuhr sie fort, die wirren Reihen ihrer Sätze abzuhaspeln; sie hielt ihm nicht einmal die Wange mit jener müden Bewegung hin, mit der sie ihn in ihrer Krankheit empfing. Vielleicht sah sie nicht einmal mehr. Dieses bleifarbene Antlitz mit den bereits schwarzen Lippen war nicht mehr seine Mutter.
    »Geh nur,« sagte Pauline milde zu ihm, »mache einen Spaziergang... Ich versichere dir, die Stunde ist noch nicht gekommen.«
    Statt in sein Zimmer hinaufzugehen, flüchtete Lazare. Er ging aus und trug das Bild dieses schmerzlichen Gesichtes, das er nicht wiedererkannte, mit sich fort. Seine Base belog ihn, die Stunde rückte näher; er aber erstickte; er brauchte Raum und lief wie ein Rasender umher. Dieser Kuß war also der letzte. Der Gedanke, seine Mutter nie, nie wiederzusehen, schüttelte ihn wie toll. Er glaubte, jemand laufe ihm nach und wende sich um; als er Mathieu erkannte, der ihn mit den schweren Pfoten einzuholen suchte, verfiel er ohne jeglichen Grund in eine helle Wut; er warf kleine Steine nach dem Hunde und stammelte Verwünschungen, um ihn nach Hause zu jagen. Mathieu, über diesen Empfang verblüfft, entfernte sich, dann machte er wieder kehrt und schaute ihn mit sanften Augen an, in denen Tränen zu glänzen schienen. Es war Lazare unmöglich, das Tier fortzujagen, das ihn von weitem begleitete, als wolle es über seine Verzweiflung wachen. Das ungeheure Meer regte ihn ebenfalls auf; er eilte auf die Felder und suchte die verborgensten Winkel auf, um endlich allein zu sein. So irrte er bis in die Nacht umher, lief über die bebauten Felder und sprang über die Hecken. Endlich machte er sich entkräftet auf den Heimweg, als ein Anblick ihn mit abergläubischem Entsetzen packte: am Rande eines einsamen Weges stand eine große, vereinzelte Pappel, die der aufsteigende Mond mit gelblichem Lichte übergoß; man hätte glauben können, es brenne dort eine ungeheure Wachskerze im Zwielicht am Lager eines großen, quer über das Feld gebetteten Toten.
    »Vorwärts, Mathieu!« rief er mit erstickender Stimme. »Schnell.«
    Er ging nicht, er lief so eilig heim, wie er fortgeeilt war. Der Hund hatte sich ihm wieder zu nähern gesucht und leckte ihm die Hände.
    Obgleich die Nacht hereingebrochen war, brannte in der Küche kein Licht. Der Raum war leer und düster, die Decke von dem Widerscheine der Glut eines Kohlenfeuers rötlich beleuchtet. Diese Finsternis verwirrte Lazare, der sich nicht vorwärts zu gehen getraute. Bestürzt blieb er stehen inmitten dieses Durcheinanders von Töpfen und Scheuerlappen und lauschte auf die Geräusche, die das Haus durchklangen. Seitwärts vernahm er ein leichtes Hüsteln seines Vaters, dem der Abbe Horteur mit dumpfer,, unaufhörlicher Stimme zuredete. Hauptsächlich aber beunruhigten ihn eilige Schritte, ein Flüstern auf der Treppe, dann in dem oberen Stockwerke ein Gesumme, das er sich nicht erklären konnte, wie von dem unterdrückten Geräusch einer hastig gemachten Verrichtung herrührend. Er wagte nicht zu verstehen; war wirklich alles zu Ende? So blieb er regungslos stehen, ohne die Kraft zu haben, nach oben zu gehen, um sich Gewißheit zu verschaffen, bis er Veronika herunterkommen sah: sie kam hastig herbeigelaufen, zündete ein Licht an und trug es so eilig fort, daß sie ihm nicht ein Wort, selbst nicht einen Blick schenkte. Die für einen Augenblick erhellte Küche war wieder in die Dunkelheit zurückgesunken. Die Magd erschien von neuem, diesmal um eine Schüssel zu holen, und immer mit der nämlichen geschäftigen, schweigsamen Hast. Lazare zweifelte nicht mehr, es war alles zu Ende. Da setzte er sich fast ohnmächtig auf den Tischrand und wartete in dieser Dunkelheit, ohne zu wissen, auf was er wartete, während ihm die Ohren von der großen, plötzlich eintretenden Stille summten.
    In dem Gemache dauerte der letzte Todeskampf bereits seit zwei Stunden, ein qualvoller Tod, der Pauline und Veronika geradezu entsetzte. Die Furcht vor Gift war in dem letzten Aufflackern wiedergekehrt. Frau Chanteau richtete sich ein wenig auf, immer noch mit ihrer raschen, aber nach und nach von einem wilden Phantasieren erregten Stimme plaudernd. Sie wollte aus dem Bette springen, aus dem

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