Die Lebensprinzipien
Dichterfürst geworden, hätte er sich sicher auch als Naturwissenschaftler einen Namen gemacht, etwa mit seiner Farbenlehre oder der Beobachtung der Metamorphosen in Tier-und Pflanzenreich. Vieles, was von ihm in Steiners Anthroposophie einging, war in diesem Sinne vom Jungfrau-Merkurprinzip geprägt, bis hin zum anthroposophischen Symbol des Goetheanums, jenes Baukunstwerkes, in dem Wissenschaft und Kunst, Medizin und Religion sich in der Anthroposophie oder Menschenbeziehungsweise Lebensweisheit verbinden sollen.
Unter den Philosophen ist Hegel zu nennen, der Wert darauf legte, dass das Bewusstsein das materielle Sein bestimmt, und der damit das Jungfrau-Merkurprinzip ein gutes Stück erlöst hat.
Der Dichter und Lebensreformer Leo Tolstoi war im Zeichen Jungfrau geboren und versuchte – wie ein Arzt der ganzen Gesellschaft – , die Lebensbedingungen in Russland und der Welt zu verbessern. Er sprach sich gegen die Leibeigenschaft aus und lag als kritischer Geist fast ein Leben lang mit dem zaristischen Russland, aber auch mit seiner eifersüchtigen Ehefrau im Clinch.
Der überaus fleißige Naturforscher und Geograph Alexander von Humboldt ist ebenfalls unter diesem Merkurprinzip geboren.
Auf seinen zahlreichen Reisen durch Südamerika forschte er nicht nur akribisch auf den Gebieten der Geographie, Geologie, Klimakunde und des Erdmagnetismus, sondern brachte auch von jeder Forschungsreise Tausende Präparate von bisher unbekannten Tieren und Pflanzen mit nach Europa. Über alles führte er genauestens Tagebuch, was zur Grundlage seines umfangreichen Werkes Reise in die Äquinoktial-Gegenden des neuen Kontinents wurde. In seinem späteren Hauptwerk Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung wollte er alles damalige exakte naturwissenschaftliche Wissen methodisch zu einer neuen Weltschau verbinden. Noch heute ist Humboldt Namensgeber zahlreicher Universitäten weltweit.
In der Unterhaltungsliteratur schuf Agatha Christie ein großes Werk. Mit ihren ausgeklügelten und psychologisch verschlüsselten Detektivgeschichten verhalf sie ihren jungfräulichen Hauptfiguren Miss Marple und dem peniblen, detailversessenen Hercule Poirot zu Kultstatus und machte mit einer Gesamtauflage von weit über zweihundert Millionen verkaufter Bücher viel Geld.
Unter den Schauspielerinnen ist Ingrid Bergmann ein gutes Beispiel für das Jungfrau-Merkurprinzip. In einer Zeit, in der sich hauptsächlich Hollywood-Diven und Sexbomben auf der Leinwand tummelten, beeindruckte sie mit ihrer schlichten, etwas biederen Art, mit der sich auch die ganz normale Frau identifizieren konnte. In ihrem legendären Erfolgsfilm Casablanca entscheidet sie sich am Ende – Jungfrau-Merkur typisch – gegen ihre große Liebe und für ihren Ehemann.
(Arche-)typische Problemkette
Spezialistentum
Eine Zeit, die so sehr dem Merkurprinzip zuneigt wie unsere, hat trotzdem ihre liebe Not mit dessen zwei Seiten, der zwillingehaft luftigen und der jungfräulich irdischen. Der Universaldilettant, wie
er sich zum Beispiel im praktischen Wald-und-Wiesen-Doktor ausdrückt, hat, was Renommee und Honorar angeht, dabei eindeutig das Nachsehen hinter dem wissenschaftlich angehauchten »Fachidioten« in Facharzt-Gestalt. Beispielsweise steht jeder Nuklearmediziner von Einkommen und Ansehen weit über jedem Landarzt. Der Nuklearmediziner selbst müsste eigentlich erkennen, wie irrelevant er für die Volksgesundheit im Vergleich zu einem Landarzt ist. Aber heute wimmelt es in der Welt nur so von »Fachidioten«, die sich ihres hohen Ansehens und Einkommens erfreuen. Die »Universaldilettanten« werden dagegen immer weniger, weil weder geschätzt noch anständig honoriert. Alleskönner, die das Große und Ganze sehen, brauchen wir aber in der heutigen Medizin viel dringender als Spezialisten, die über den eigenen Tellerrand nicht hinausblicken.
Die Massierung und das Selbstbewusstsein von Fachärzten nimmt oft schon groteske Formen an, etwa wenn der Nephrologe oben in der Niere sitzt und der Urologe von unten heraufdrängt und sie um ein und dasselbe Organ streiten. Dass sich all die »-logen« vom Kardio- über Pulmo-, Hepato-, Gastro-, Entero- bis zu den Neurologen nicht um die Seele kümmern, wenn sie schon neben ihrer jeweiligen »-logie« den ganzen Rest unter den Tisch fallen lassen, ist traurig, aber fast (selbst-)verständlich. Darüber hinaus leisten sie dem schrecklichen Medizinerdenken im Sinne von »die Niere von Zimmer 14« Vorschub. Trotzdem ist
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