Die leere Wiege: Roman (German Edition)
tragischen Tod von Luke Hatcher nicht verschuldet, denn Rose hat den Jungen geliebt. Sie wurde zu Unrecht des Mordes angeklagt und für neun Monate in Untersuchungshaft gehalten. Lassen Sie uns dieses Unrecht beenden, meine Damen und Herren, denn ich werde darlegen, dass Rose Wilks unschuldig ist.«
Am zweiten Tag der Verhandlung tritt Emma in den Zeugenstand. Seit dem Tag, an dem Luke gestorben ist, habe ich sie nicht mehr gesehen. Ich würde auf der Straße glatt an ihr vorüberlaufen, ohne sie zu erkennen. Der Gram hat sie verzehrt, und ihr früheres Engelsgesicht hat scharfe Züge angenommen. Sie war immer zierlich, eine kleine Ballerina im Vergleich zu mir, aber jetzt sieht sie aus wie ein halb verhungertes Kind. Die Frau, die da auf dem Zeugenstuhl sitzt, ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Zweimal muss die Gerichtsschreiberin sie bitten, lauter zu sprechen. Der Gerichtsdiener bringt Emma Papiertaschentücher und ein Glas Wasser.
Ich möchte, dass sie mich ansieht, dass sich unsere Blicke treffen. Wir waren einmal die besten Freundinnen und haben Luke beide geliebt. Jetzt leiden wir beide. Mein Herz schmerzt bei ihrem Anblick, wie sie spindeldürr und mit gesenktem Kopf dasitzt. Selbst ihr Haar, auf das sie immer so stolz war, wirkt schlaff und ungepflegt.
O Emma, bitte sieh mich an.
Zuerst behutsam, dann ein wenig direkter fragt der Staatsanwalt sie nach meiner »unnatürlichen Beziehung« zu Luke. Emmas Worte klingen monoton, es sind einsilbige, gemurmelte Antworten. Der Staatsanwalt wirkt verstimmt. Nach einer Weile gibt er auf und überlässt die Zeugin der Verteidigung.
»Mrs Hatcher«, beginnt Mr Thomas. »Rose Wilks hat regelmäßig auf Ihren Sohn aufgepasst. Heißt das, Sie gingen davon aus, dass Luke bei ihr in guten Händen war?«
»Ja.«
»Hatten Sie jemals einen Grund anzunehmen, Rose könnte Ihrem Sohn schaden?«
»Nein.«
»Haben Sie jemals festgestellt, dass Rose sich auf eine Weise verhalten hat, die Ihnen Grund zur Sorge gab?«
»Als Miss Hall, die Kinderschwester, mir sagte, dass …«
»Haben Sie jemals etwas festgestellt, Mrs Hatcher?«
»Nein.«
»Noch eine Frage, wenn Sie gestatten. Rauchen Sie?«
Emmas Gesicht wird aschfahl. »Früher habe ich geraucht. Aber nur, wenn ich gestresst war.«
»In der Nacht, als der Brand ausbrach, waren Sie gestresst, nicht wahr?«
»Ja.«
»Darf ich fragen, warum?«
Emmas Schweigen zieht sich, bis sie schließlich sagt: »Ich hatte Streit mit meinem Ehemann.«
»Haben Sie an besagtem Abend geraucht?«
Ich muss mich vorbeugen, um ihre Antwort hören zu können. »Nein. Ich hatte keine Zigaretten im Haus.«
»Keine weiteren Fragen, Euer Ehren.«
Der Gerichtsdiener hilft Emma aus dem Zeugenstand. Nicht ein einziges Mal hat sie in meine Richtung geschaut.
Dominic Hatcher dagegen starrt mich die ganze Zeit über an. Sein Blick besagt, dass er mich erschießen würde, wenn er ein Gewehr hätte. Sein Gesicht ist gerötet, der Blick finster und aufgebracht. Der Staatsanwalt versucht ihn zu beruhigen, doch Dominics Antworten werden zunehmend lauter. Ich weiche zurück.
Er sagt, ich sei ständig bei ihnen zu Hause gewesen und dass er mir nie getraut habe.
Die Stimme von Mr Thomas wird sanfter, als wolle er betonen, wie beherrscht er im Vergleich zu Dominics aggressivem Auftreten ist.
»Mr Hatcher, Sie haben behauptet, Rosemary Wilks von jeher misstraut zu haben. War das tatsächlich so?«
»Ja. Ich habe sie nie gemocht.«
Die Aussage schmerzt mich, obwohl ich immer wusste, dass er mich hasst. Er war auf meine Freundschaft mit Emma eifersüchtig und darauf, wie nah wir uns standen.
»Vielleicht möchten Sie den Geschworenen erklären, wie es kam, dass diese Frau, der Sie nie getraut haben, die Sie nie mochten, Ihren Sohn beaufsichtigen durfte, während Sie sich einen schönen Tag auf der Pferderennbahn machten.«
»Ich konnte sie nicht leiden, und sie war mir unheimlich. Aber ich hätte nie gedacht, dass diese verkommene Person jemanden ermordet.«
»Einspruch, Euer Ehren.«
»Stattgegeben. Mr Hatcher, bitte mäßigen Sie sich«, sagt der Richter.
Mr Thomas fährt fort. »Noch eine Frage, wenn Sie erlauben. Waren Sie in der Nacht, als Ihr Sohn starb, zu Hause?«
»Nein. Ich habe im Internat übernachtet. Ich gehöre zur Führungsriege des Internats, und als …«
»Sie waren also nicht zu Hause. Trifft das zu?«
»Ja.«
»Aus welchem Grund haben Sie im Internat geschlafen, Mr Hatcher?«
Dominic seufzt und atmet
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