Die Legende der Dunkelheit: Thriller
auf den Tisch legte.
Diese Gegenstände hatten einen Wert von mehreren Hundert Millionen Dollar, und manche würden sogar sagen, dass sie nicht mit Geld zu bezahlen sind, weil sie alle verehrte Symbole ihrer Länder und Religionen waren. Michael interessierte sich aber für etwas anderes. Wie gebannt starrte er auf das einzige Teil, das jetzt noch in der Kiste lag, als handelte es sich dabei um das letzte Geschenk, das man am Weihnachtsmorgen öffnen durfte.
Es steckte in einem bordeauxroten Samtbeutel, der mit einer goldenen Kordel zugebunden war.
Simon nahm ihn aus der Kiste, löste die Kordel und zog ein fünfzehn Zentimeter dickes, in Leder gebundenes Buch heraus.
»Jungs, ihr müsst jetzt mal ein bisschen Gas geben.« Buschs Blick war immer noch auf die Bildschirme geheftet. »Hör auf, Zeit zu verschwenden, Michael. Das Buch können wir uns später noch ansehen. Such du, was du brauchst, was immer es ist, damit wir hier herauskommen und noch eine Chance auf eine Zukunft haben.«
Das Buch war von erlesener Schönheit. In den Deckel war ein riesiger wilder Tiger geprägt, der die Zähne fletschte und gegen einen fünfklauigen Drachen kämpfte. Die Darstellung wirkte lebensecht, als könnte sie jeden Moment aus dem Einband springen. Die Seitenränder des Buchdeckels waren mit chinesischen Schriftzeichen verziert, und Wolken und Symbole bildeten den Hintergrund.
Simon fuhr mit den Fingerkuppen über das Leder des Buches, das vor über einem halben Jahrtausend geschaffen worden war, ergriffen angesichts des Wissens, das darin enthalten sein sollte. Es war, als hielte man die Schriftrollen vom Toten Meer in den Händen, die gesammelten Logbücher der größten Entdecker der Geschichte, das Handbuch eines Kriegers zu den Themen Diplomatie und Krieg, einen Kodex von Magie und Wissenschaft.
Simon klappte das ledergebundene Buch auf, und jede einzelne Seite war ein Kunstwerk für sich. Er erblickte elegante Einträge aus zierlichen, fließenden chinesischen Schriftzeichen, die für jeden geheimnisvoll waren, der die Sprache nicht verstand. Auf den meisten Seiten waren Zeichnungen und Malereien unterschiedlicher Stilrichtungen, als hätten verschiedene Künstler dabei geholfen, Zheng Hes Lebensgeschichte zu erzählen.
Da war ein Bild, das einen großen Mann zeigte mit einem fassartigen Brustkasten, der nicht nur stark und robust wirkte, sondern auch gut aussah mit seinen grimmig dreinblickenden Augen. Er trug ein langes weißes, wallendes Gewand, das mit Goldfäden bestickt war, und darüber einen ebenso langen schwarzen Umhang. Mit der linken Hand umklammerte er ein furchterregendes Schwert.
»Admiral Zheng He war Chinas größter Entdecker«, sagte Simon. »Eroberer, Diplomat, Kaufmann – er war alles Mögliche. Er war ein Moslem, ein Eunuch, ein Krieger. Er war der größte Abenteurer der chinesischen Geschichte, und trotzdem wissen außerhalb Chinas nur sehr wenige Menschen, wer er ist.
Zheng kam als Ma He zur Welt, als muslimischer Mogul, der in seiner Jugend gefangen genommen und in das Haus des Ming-Dynastie-Prinzen Zhu Di gebracht wurde. Dort gab man ihm einen neuen Namen, nannte ihn San Bao, das bedeutet Drei Juwelen . Er wurde ein mächtiger Soldat und einer von Prinz Zhu Dis engsten Freunden und Beratern. Im Jahr 1402, während des Putsches, in dem der Prinz seinen Vorgänger beseitigte, kämpfte San Bao an dessen Seite. Und als Zhu Di Kaiser wurde, taufte er seinen besten Freund Zheng He.
Zhu Di, bekannt als der Yongle-Kaiser, der Sohn des Himmels, wollte China in das Goldene Zeitalter der Tang-Dynastie zurückführen. Deshalb ließ er in Annam – das ist heute Nordvietnam – die Wälder abholzen, baute aus dem Holz Hunderte massiver Schatzschiffe und ernannte seinen Freund Zheng He zum Admiral, der diese Flotte befehligte.
Wenn wir an Entdecker denken, denken wir an Kolumbus, James Cook, Magellan, Marco Polo, aber neben diesem Mann hier verblassen sie alle. Seine Armada aus gewaltigen Dschunken war viel größer als irgendeine der Flotten, die unter Kolumbus segelten, und das war erst hundert Jahre später. Zheng Hes Schiffe waren fünfmal so lang, viel schneller und auch seetüchtiger. Er hatte über dreihundert seetüchtige Schiffe und eine Mannschaft von fast dreißigtausend Mann.
Jedes der Schiffe, die allgemein als schwimmende Drachen beschrieben wurden, hatte bis zu neun Masten, und auf dem größten war Platz für eintausend Mann. Sie beförderten Soldaten, Ärzte, Köche, Übersetzer,
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