Die Legende der Dunkelheit: Thriller
Tunnel in die unendliche Dunkelheit. An der Decke hingen Lampen, doch keine einzige brannte.
Sie hatte keine Ahnung, in welche Richtung sie gehen sollte.
Sie zog die Karte heraus, die Jenna ihr gegeben hatte, und sah, dass der Tunnel über vierzig Kilometer lang war und bis ins Vorgebirge reichte. Es handelte sich um den Fluchtweg, den die Regierungsoffiziellen vor über fünfzig Jahren hatten erbauen lassen, um im Falle einer nuklearen Katastrophe fliehen zu können. Doch dann war der Kalte Krieg zu Ende, und seitdem wurde hier nichts mehr instand gehalten.
KC entdeckte einen roten Kreis, den Jenna eingezeichnet hatte. Er befand sich etwa achthundert Meter weiter nördlich und kennzeichnete eine Bodenluke, aus der man an die Oberfläche gelangen konnte. Das Problem war nur, dass KC keine Ahnung hatte, wo Norden war; die Gänge vor ihr und hinter ihr waren fast gleich, und es gab keinerlei Richtungsangaben. Denn diejenigen, für die dieser Fluchtweg gedacht gewesen war, hätten das nicht gebraucht, weil sie mit Sicherheit wussten, in welche Richtung sie hätten gehen müssen, um aus der Stadt hinauszukommen.
Aber sie …
Sie griff in ihre Hosentasche, zog den schwarzen Seidenbeutel heraus, öffnete ihn und lächelte.
Zu gern hätte sie Annies Gesicht gesehen, als die endlich die rote Geheimschatulle öffnete, und miterlebt, wie sich der Triumph in ihren Augen in eine Niederlage verwandelte, wie schockiert sie war beim Anblick der leeren Schatulle.
Als KC die Höhle erreicht hatte, wusste sie, dass ihr nicht viel Zeit blieb. Sie zog die rote Schatulle aus dem Beutel und untersuchte sie.
Hier ging es nicht um Schlösser, Haspen oder Fugen. Die befanden sich alle innen; sechshundert Jahre alte Handwerkskunst konnte es mit allen heutigen Anfertigungen aufnehmen. Sie hatte sich die Schatulle ganz genau angesehen, die Ecken begutachtet.
In den Deckel der Schatulle war eine Zeichnung eingraviert. Sie zeigte Zheng He.
Sie drückte mit dem Daumen auf seine Brust und konnte ein leichtes Spiel spüren. Daraufhin drehte sie die Schatulle um und erblickte das Zeichen für Yin und Yang, klein und elegant eingeschnitzt. Sie drückte darauf, während sie die Schatulle abermals umdrehte und zugleich noch einmal auf Zheng Hes Brustkasten drückte.
Der Mast das Schiffes wurde etwa acht Millimeter länger, die Schatulle öffnete sich mit einem klackenden Geräusch, und darin lag der schwarze Seidenbeutel.
Sie griff hinein und zog eine runde Messingscheibe heraus mit einem gewölbten Glasfenster, das fast genauso groß war wie die Scheibe. Den schmalen Messingrand zierten kleine verschnörkelte Zeichnungen von Drachen, Tigern, Affen und Wolken, Häusern, Schiffen und Gräbern. Der Pfeil in der Mitte pendelte herum.
Es spielte keine Rolle, dass die Scheibe nicht mit Norden, Süden, Osten oder Westen markiert war. Die Nadel brauchte nicht zu wissen, in welche Richtung sie zeigen sollte; darum kümmerten sich die magnetischen Pole. Aufgabe des eleganten antiken Kompasses war es gewesen, Admirälen und Seeleuten den Weg zu weisen. Heute würde er sie in die Freiheit führen. Das, was sie gestohlen hatte, würde ihr das Leben retten.
Als sie in nördlicher Richtung durch den Tunnel ging und mit ihrer Taschenlampe umherleuchtete, kam sie an verwaisten Militärfahrzeugen vorbei, an PKWs und alten Lastwagen aus den Siebziger- und Achtzigerjahren mit kaputten Windschutzscheiben und platten Reifen. Sie war verblüfft, dass die Verbotene Stadt, die vor fast sechshundert Jahren erbaut worden war, dem Zahn der Zeit getrotzt hatte, dass aber Fahrzeuge, die der Mensch der Neuzeit gebaut hatte, kein Vierteljahrhundert überdauerten.
Endlich kam sie an die Stelle, die Jenna auf der Karte rot eingekreist hatte. Das chinesische Schriftzeichen war an der Wand, und obwohl sie keine Ahnung hatte, was es besagte, wusste sie, was es bedeutete. Die lange Leiter, die vom Boden acht Meter in die Höhe bis zur Decke reichte, machte das klar.
Die Sprossen waren noch stabil und erstaunlicherweise rostfrei. Sie steckte den Kompass in den kleinen Seidenbeutel und schob ihn wieder in ihre Hosentasche, dann rollte sie die Landkarte zusammen, steckte sie weg und begann, die Leiter hinaufzusteigen.
Acht Meter über der Erde verschwand sie in der Betondecke, in einer engen Röhre, die offenbar als Plan B gedacht gewesen war für den Fall, dass man auf der Flucht aus dem Tunnel herausmusste. Noch einmal acht Meter weiter kam sie zu einer runden Luke. Wie die
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