Die Legende der Dunkelheit: Thriller
ist verkehrt herum ausgerichtet«, sagte Michael, als er feststellte, dass die Nadel nach Süden zeigte.
»Nein«, widersprach Simon, »chinesische Kompasse zeigen immer nach Süden. Die Chinesen haben den Kompass vor mehr als zweieinhalbtausend Jahren erfunden. Laut der chinesischen Literatur so etwa um 1050. Zheng He war der erste Mensch, der die Meere mit einem Kompass befahren und das Instrument im modernen Sinn genutzt hat, etwas, was die Europäer erst sehr viel später übernommen haben. Obwohl dieser Kompass nach Süden zeigt, weist die andere Seite einwandfrei nach Norden; denn an der Achse ändert sich ja nichts.«
Michael konzentrierte sich auf die Seite in Zheng Hes Tagebuch, auf der die Landkarte abgebildet war. Diese Seite bestand aus drei Teilen, die man auseinanderklappen konnte, und zeigte die Welt im Querformat, und zwar wesentlich detaillierter, als man es von einer Karte erwartet hätte, die im Jahre 1425 angefertigt worden war. Sie zeigte nicht nur Indien, Asien, den Mittleren Osten und Afrika in überraschender Genauigkeit, sondern auch Nord- und Südamerika. Jedes der Meere war verziert mit prachtvollen Drachen, die im Wasser schwammen, erlesenen Schiffen auf haushohen Wellenkämmen, Meerestieren, die aus der Tiefe schossen.
In der rechten unteren Ecke waren ein Drache und ein Tiger abgebildet, die miteinander kämpften und dabei die Form des Yin-Yang bildeten. Als Michael sich die Karte genauer ansah, fiel ihm auf, dass die dreiteilige Seite am Rand mit ähnlichen Darstellungen kämpfender Drachen und Tiger verziert war. Daraufhin sah er sich den Rand des Kompasses noch einmal genauer an und stellte fest …
Michael legte den Kompass auf die Yin-Yang-Darstellung und richtete ihn so lange aus, bis die Tiere auf dem Kompassrand genau zu ihren Gegenstücken passten, die die Umrandung der Landkarte zierten. Als sie ganz präzise ausgerichtet waren, sah er, wie die Nadel anfing, sich ganz langsam von der Nord-Süd-Achse wegzubewegen.
Er nahm den Kompass in die Hand, und sofort schnellte die Nadel mehrere Grad in ihre normale Achse zurück. Er fuhr mit der Hand über die Seite, hielt den Kompass ein paar Millimeter über das Papier, und die Nadel tanzte und drehte sich, sodass er den Kompass schließlich zurück auf die Ecke der Karte legte. Er richtete den Kompass noch einmal aus, und alles wiederholte sich: In dem Moment, da die Bestien genau aufeinanderlagen, drehte sich die Kompassnadel um mehrere Grad.
»In das Papier«, sagte Michael mit einem Lächeln auf den Lippen und fuhr mit den Fingerkuppen über den Rand, »ist eine Art Ferritmagnet eingearbeitet, nur eine ganz winzige Menge, aber wenn man den Kompass so ausrichtet, wie die Symbole auf dem Rand des Kompasses es verlangen, reicht es, um den Kompass aus der Achse zu ziehen.«
Unter Zuhilfenahme des antiken Kompasses fand Michael die Inselgruppe südlich der Philippinen und berechnete nach Zheng Hes Notizen, die oben auf der Seite standen, den Steuerkurs und die Koordinaten von Penglai.
»Gib mir deinen Kompass«, sagte Michael zu Busch.
Busch zog die Kompassuhr seines Vaters aus der Hosentasche, klappte sie auf und gab sie Michael. Michael nahm Zheng Hes Kompass von der Landkarte, legte stattdessen Pauls darauf und richtete ihn nach der Nord-Süd-Achse der Karte aus. Dann benutzte er seine Berechnungen für Pauls Kompass und ortete im Nu eine winzige, entlegene Insel im Südpazifik. Er nahm Buschs Kompass wieder von der Karte und legte Zheng Hes erneut darauf, richtete die modifizierte Achse entsprechend den zusammenpassenden Drachen und Tigern aus, und als sich die Kompassnadel prompt ein paar Grad weiter nach Westen drehte, lächelte er.
»Alle, die versuchen, den Koordinaten auf dieser Landkarte mit einem herkömmlichen Kompass zu folgen, würden zu einer anderen Insel gelangen. Sie würden glauben, sie hätten Penglai gefunden und einander auf die Schulter klopfen und nie erfahren, dass die richtige Insel hier ist.«
Michael zeigte auf das offene Meer, wo ein kunstvoll verzierter, fünfklauiger Drache durch die Wellen tauchte. Busch befasste sich derweil mit einer großen modernen Landkarte, begann zu rechnen und schrieb sich schließlich eine Reihe von Koordinaten auf.
Michael drehte sich um und sah, dass KC auf dem Sofa lag und schlief. Aus ihrer Nase tropfte Blut. Busch und Simon folgten Michaels Blick, und Besorgnis legte sich auf ihre Züge.
»Die Zeit läuft uns davon«, flüsterte Michael.
Jenna setzte Michael,
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