Die Legende der Dunkelheit: Thriller
hervor, maß Entfernungen, zog Striche und machte sich rasch ein paar Notizen.
Sie blickte auf den schwarzen Spielchip, der mit der Karte in dem Briefumschlag gewesen war, auf den Chip, den Michael so clever versteckt hatte und mit dem er jederzeit in Erfahrung bringen konnte, wo sie war. Michael hatte es von Anfang an so geplant, dass sie den Tempel mit der Karte verließ, um sie mit dieser List von seinem eigentlichen Plan abzulenken, ihr hierher zu folgen.
Und Annie lächelte. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie den winzigen Chip in den Müll werfen oder ihn in einem Taxi oder in einem Zug ablegen und ihn wild durch die Gegend schicken sollte, doch sie wusste, dass die Hindernisse, die sich Michael momentan in den Weg stellten, ihn viel mehr frustieren würden, denn sie war an dem einzigen Ort in ganz China, an dem Michael ihr nichts anhaben konnte.
Michael saß mit KC im Fond des Wagens, Simon neben ihm, und Jon saß am Steuer und Busch sozusagen als seine Bewachung auf dem Beifahrersitz. Sie starrten aus dem Fenster auf das riesige Gelände.
»Diese gottverdammte Schlampe«, schimpfte Busch. »Woher bekommt sie solchen Schutz?«
»Beziehungen«, sagte Simon.
»Beziehungen. Dass ich nicht lache! Die ganze Sache stinkt zum Himmel.«
»Ich darf nicht in die Nähe kommen«, sagte Michael. »Man würde mich auf der Stelle verhaften.«
»Ich wüsste gar nicht, wo ich hingehen sollte, wenn ich da erst mal drin wäre«, sagte Busch.
»Schaut nicht mich an«, meinte Simon. »Ich bin Italiener. Warten wir also, bis sie wieder herauskommt. Wenn jeder von uns eine Ecke des Gebäudes im Auge –«
»Dazu haben wir keine Zeit«, sagte Michael. »Das könnte Stunden dauern. Und wenn man sie nach draußen eskortiert, sehen wir sie bestenfalls aus hundert Metern Entfernung.«
»Bist du sicher, dass sie da drin ist?«, wollte Jon wissen.
Michael hielt sein Peilgerät in die Höhe und zeigte ihm den blinkenden roten Punkt in der Mitte der GPS-Karte. »Es sei denn, sie hat den Chip gefunden und ihn irgendwie nach oben in den zweiten Stock gebracht.«
»Bist du sicher, dass es der zweite Stock ist?«, fragte Jon.
»Dieses Ding hier gibt die Höhe sehr genau an, und sie befindet sich in diesem Moment sieben Meter über uns.«
Wortlos zog Jon seine Waffe und legte sie auf den Sitz. Dann griff er nach unten und entfernte das Messer, das er an einem Band um den Knöchel trug, und holte die Ersatzmagazine aus seinen Jackentaschen. Er gab Michael die Sachen, dann stieg er aus dem Wagen und schlug die Tür mit Wucht hinter sich zu.
Alle blickten Jon nach, der die Straße überquerte und die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika betrat.
Jon ging über den Bürgersteig, vorbei an dem spiegelglatten Teich, zum Haupteingang, der auf das Gelände der US-Botschaft führte. Um das große achtstöckige Bürogebäude in der Mitte waren mehrere niedrige, weitläufige Gebäude gebaut, die sich über den gesamten Straßenblock erstreckten. Die Fassade des Eingangs war aus Glas und sehr modern, nicht zu vergleichen mit den Reihenhaus-Botschaften in Europa.
Jon zog seinen Pass aus der Jackentasche und zeigte ihn den vier bewaffneten Wachmännern vor, die vor dem Haupteingang standen. Ein Marine in Gardeuniform nickte Jon zu und begleitete ihn hinein, führte ihn über einen kleinen Platz und durch die riesigen Eingangstüren.
Sie betraten die Lobby, und Jon hatte das Gefühl, als wäre er gerade in die USA zurückgekehrt: Überall hingen Flaggen, und ein riesiges Porträt des Präsidenten hing an der Wand am anderen Ende. In der Halle herrschte geschäftige Betriebsamkeit, lauter Amerikaner, und alle sprachen Englisch, gingen ihrem Tagwerk nach.
Jon wurde ins Büro des diensthabenden Beamten geführt. »Guten Abend, Sergeant. Lieutenant Jon Lei, im Ruhestand.« Jon reichte ihm seinen Reisepass und einen Militärausweis.
Der Sergeant scannte beide Dokumente ein und gab sie ihm lächelnd zurück. »Es ist mir ein Vergnügen, Lieutenant. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Ich arbeite momentan auf Honorarbasis für die Tridiem Group für Colonel Lucas in Camp Zama. Ich bin auf der Suche nach einer Kollegin namens Annie Joss.«
»Ach ja. Sie ist im zweiten Stock, Zimmer 2112.« Der Sergeant gab Jon einen Stockwerksplan. »Ihre Waffe müssten Sie aber bitte –«
»Nicht nötig«, erwiderte Jon mit einem Lächeln, »die habe ich gar nicht erst mitgenommen.«
Der diensthabende Beamte wies auf die Sicherheitsschleuse.
Weitere Kostenlose Bücher