Die Legende Der Wächter 07: Der Verrat

erweisen“, sagte Uglamore in getragenem Tonfall. Nyra bedeutete ihrem Sohn, ein Stück zurückzutreten. Während Uglamore weitersprach, streute der Schmied Gwyndor trockenes Reisig und Baumrinde über Kludds Knochen. Dann legte er eine glühende Holzkohle darauf. Das Reisig fing sofort Feuer und die Höhle war von flackerndem Flammenschein erfüllt. Riesige Schatten huschten über die Wände. Sie schienen einen seltsamen Tanz zu vollführen. Nyroc staunte und er begriff: Es ist das Licht, das Schatten hervorbringt! Fasziniert schaute er in die Flammen und auf einmal erbebte sein Magen. Ich sehe nicht nur die brennenden Gebeine meines Vaters – ich sehe noch etwas anderes!
    Nyroc erblickte im Feuer eine fremdartige Landschaft, in der Wesen mit vier Beinen und eigenartig getönten Augen umhersprangen. Durch das Prasseln des Feuers glaubte er, die sonderbaren Geschöpfe dumpf knurren zu hören. Über den Vierbeinern glitten verschwommene nebelgraue Umrisse durch die Luft. Doch das war noch nicht alles. Nyroc spürte ein nie gekanntes Ziehen im Magen. Er kniff die Augen zusammen und spähte angestrengt in die Flammen. In ihrem rötlichen Schein flackerte etwas Blaues, wie der Himmel an einem sonnigen Tag. Um das Blau herum war noch eine andere Farbe. Die Augen der Vierbeiner hatten den gleichen Farbton. War das etwa Grün? Schwebte im Feuer ein Laubblatt? War das die Farbe, die laut Schmuddel an lebendigen Bäumen zu sehen war? Nyroc konnte den Blick nicht abwenden. Das dreifarbige Feuer zog ihn unwiderstehlich an. Er stellte sich vor, wie er sich mitten hineinstürzte.
    Nyra hatte unterdessen einen Klagegesang angestimmt und alle Anwesenden schauten sie an. Nur Gwyndor beobachtete Nyroc.
    Der Kleine hatte etwas gesehen. Das erkannte der alte Schmied an Nyrocs starrem Blick. Gwyndors Magen kribbelte heftig. Er betrachtete den Widerschein der Flammen auf Nyrocs Augen. Spiegelte sich dort etwa die Glut von Hoole? Wie alle Schmiede betrachtete Gwyndor das Feuer als ebenbürtiges Lebewesen. Ein Feuer besaß genauso einen Muskelmagen, in dem die Gefühle ihren Sitz hatten, wie eine Eule. Und manche Eulen besaßen die seltene Gabe, dem Feuer in den Magen zu blicken und dort etwas zu sehen, was anderen Eulen verborgen blieb. Gwyndor selbst hatte diese Gabe leider nicht. Ebenso wenig Bubo, der Schmied von Ga’Hoole, aber der Meisterschmied Orf auf der Schwarzhuhninsel, der die besten Kampfkrallen der Welt herstellte, sollte sie angeblich besitzen. Es hieß, früher habe es auch den einen oder anderen Glutsammler gegeben, der einem Feuer in den Magen blicken konnte. Doch keiner von ihnen hatte je das blaue Leuchten der sagenhaften Glut von Hoole erblickt. So blau brannte nur die heißeste Glut, von der die Schmiede sagten, dass sie „rumste“. Die Glut von Hoole jedoch war nicht einfach nur besonders heiß, es hatte noch eine andere Bewandtnis damit.
    Gwyndor hatte noch nie erlebt, dass eine Eule so lange ins Feuer schaute. Und der Kleine war noch so jung! Was er wohl sah?
    Der Schmied war Nyras Ruf nur ungern gefolgt. Eigentlich wollte er mit den Reinen nichts zu tun haben. Ihre Überzeugung, die Tyto alba seien allen anderen Eulenarten überlegen, fand er höchst befremdlich. Darum wunderte er sich auch, dass der junge Rußeulerich so nah bei den Gebeinen des Verstorbenen stehen durfte.
    Gwyndor verstand selbst nicht, warum er den weiten Weg von Ambala auf sich genommen hatte. In der Nacht vor seinem Abflug hatte er eine Fleckenkäuzin namens Nebel besucht, die mit einem Adlerpaar zusammenlebte. Es ging das Gerücht, dass es sich bei Nebel in Wahrheit um die berühmte Hortense handelte, die Heldin von Ambala. Vor vielen Jahren hatte Hortense sich als Lauschgleiterin in das Sankt-Ägolius-Internat für verwaiste Eulen eingeschlichen. Unter Einsatz ihres Lebens hatte sie Eier gerettet, die von den Sankt-Ägolius-Eulen geraubt worden waren. Ihre mutigen Taten waren in die Geschichte Ambalas eingegangen. So gut wie jede Eule dort war nach ihr benannt, ganz gleich ob Weibchen oder Männchen. Gwyndor konnte nicht beurteilen, ob Nebel wirklich Hortense war. Er unterhielt sich einfach gern mit ihr. Inzwischen war sie vom Alter so grau und durchscheinend geworden, dass sie tatsächlich einer Nebelschwade glich. Nach seinen Besuchen bei ihr hatte Gwyndor oft wunderliche Träume, an die er sich aber nach dem Aufwachen kaum erinnern konnte.
    Auch vor seinem Abflug hatte er wieder geträumt. Uglamore und Wortmore, zwei Offiziere der