Die Legende der Wächter 3: Die Rettung
etwas schaffen kann. Deswegen hat mich auch so entsetzt, was Eglantine erzählt hat.“
„Was meinst du denn?“, fragte Soren.
„Die Geschichte von den ,Reinen‘, die behaupten, dass manche Eulenarten besser sind als andere. Unsere Urahnen, von denen wir alle abstammen, ob wir nun Schleiereulen, Schnee-Eulen oder Fleckenkäuze sin d – sie nannten sich einfach nur ,Glaux‘. Jede Eule verkörpert Glaux’ Erbe auf ihre Art. Das weiß ich von meiner Mama und es stimmt. Die Mitglieder dieses ehrwürdigen Ritterbundes haben eine ganz besondere Sorte Vögel hervorgebracht. Ihnen verdanken wir Eulen unsere einzigartigen Fähigkeiten: dass wir geräuschlos fliegen, dass wir im Dunkeln ausgezeichnet sehen, dass wir unsere Köpfe so weit drehen können. Im Navigationsunterricht haben wir ja auch gelernt, dass unser prächtigstes Sternbild, das uns das ganze Jahr über begleitet, der Große Glaux heißt. Aber das alles war den Eulen, von denen Eglantine berichtet hat, nicht genug. Sie fühlen sich anderen Eulen überlegen und wollen sie beherrschen oder vielleicht sogar ausrotten.“
Die fünf Freunde waren sprachlos. Soren ging durch den Kopf, dass Otulissa sie schon öfter belauscht haben musste. Otulissa ihrerseits sah aus, als würde sie gleich losschluchzen. So hatten die Freunde die sonst so überhebliche Fleckenkäuzin noch nie erlebt. „Ich weiß selber nicht, warum, abe r … da s … das geht mir alles wirklich sehr nahe. Bitte nehmt mich in eure Truppe auf!“
„Einverstanden“, sagte Soren. Otulissa war nicht nur sehr klug, sie besaß auch ein außergewöhnlich feines Gespür für Luftdruckschwankungen und war inzwischen ein unentbehrliches Mitglied der Wetterbrigade.
Nun durften sie sich wahrhaftig die Brigade der Besten nennen!
Der leere Schrein
Sie hatten einen Abend abgewartet, an dem kein Unterricht und keine Brigadeübungen stattfanden. Vorsichtshalber verließen sie den Baum kurz vor dem ersten Dunkel in kleinen Grüppchen und trafen sich auf den Klippen, wo man sie vom Baum aus nicht gleich entdecken würde. Alle sechs hatten Kampfkrallen angelegt, sogar die zierliche Gylfie. Die Kampfkrallen hatte Morgengrau vor ihrem Abflug aus der Rüstkammer in der Schmiede stibitzt, als Bubo gerade nicht da gewesen war.
Soren hatte darauf bestanden, das bewaffnete Fliegen noch einmal zu üben, ehe sie endgültig aufbrachen. Eglantine war überhaupt noch nie mit Kampfkrallen an den Füßen geflogen.
„Du musst den Schwanz stärker einsetzen, um das Gleichgewicht zu halten. Die Dinger ziehen einen nach unten“, rief Soren seiner Schwester zu, als sie schwankend über die Klippen segelte.
„Ach, das packt sie bestimmt schnell“, sagte Morgengrau.
Soren hatte so seine Bedenken. Er hatte immer noch das Bedürfnis, Eglantine zu schonen. War sie wirklich schon kräftig genug? Doch nur sie konnte die Brigade zu der Burgruine führen. D a – sie flog tatsächlich schon gleichmäßiger.
„Weiter so! Jetzt hast du den Bogen raus!“, feuerte Soren sie an. „Puh!“, schnaufte er dann erleichtert. Trotzdem machte es ihm zu schaffen, dass er gerade gegen die Grundsätze seines Lehrers Ezylryb verstieß. Er trug nicht nur Kampfkrallen, er bildete auch eine junge, unerfahrene Eule im Umgang mit Waffen aus. Soren musste an Oktavia denken. Die Schlange hatte bei ihrer Ankunft im Großen Ga’Hoole-Baum aller Gewalt abgeschworen, doch bei ihrer Unterredung in Ezylrybs Geheimkammer hatte sie verkündet: „Es ist an der Zeit, dass ich meinen Schwur breche. Ich würde alles tun, um meinem geliebten Herrn beizustehen.“
Es war sogar höchste Zeit, denn der Winter stand bevor. Wenn sie Ezylryb befreien wollten, dann jetzt. Jederzeit konnte der erste Schneesturm losbrechen, und dann war es zu spät. Soren rief Eglantine zu, sie möge zurückkommen. Dann trat er vor seine Brigade hin und kommandierte mit leiser, aber fester Stimme: „Aufstellen! Abflughaltung einnehmen! Los!“
Sechs Eulen schwangen sich in den Nachthimmel.
Ihr erstes Ziel war die Stelle im Wald von Ambala, an der die verletzte Eglantine von Digger und Morgengrau entdeckt worden war. Von dort aus würde Eglantine versuchen, die Burg und damit hoffentlich auch Ezylryb zu finden.
Unterwegs grübelte Soren über die Erfolgsaussichten seines Plans nach. Würde es ihnen gelingen, Ezylryb zu befreien, wenn er sich tatsächlich in der Burg befand? Noch hatte Soren nicht die geringste Ahnung, wie sie das anstellen sollten. Vielleicht hatte er ja die
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