Die Legende der Wächter 3: Die Rettung
Gylfies Aufschrei brachte den jungen Brigadeführer wieder zur Besinnung. Er ging in den Sturzflug und wollte sich den noch brennenden Ast wiederholen, packte aber stattdessen einen dickeren. Damit flog er wieder aufwärts, Funken sprühend wie ein ausbrechender Vulkan, und nahm den Zweikampf mit seinem Bruder auf. Beide Füße vorgestreckt, rechts die Kampfkrallen, links den brennenden Ast, flog er auf Kludd los. Der hieb nach ihm und wich dann aus. Soren spürte einen Luftzug an der Flanke, als Kludds Krallen seinen Bauch nur knapp verfehlten. Er drehte sich um die eigene Achse und flog steil aufwärts, ein schwieriges Manöver, das er fehlerfrei ausführte. Kludd kam hinterher. Doch Soren spürte ihn heranfliegen und ging unvermittelt in den Sinkflug. Kludd schoss an ihm vorbei und fluchte derb. Dann machte er kehrt und rief zu Soren hinunter: „Ich krieg dich noch!“
Nun kam das Schwierigste. Soren musste auf der Stelle fliegen, durfte nicht ausweichen und auch keine Flügelstarre kriegen. Lass ihn kommen, lass ihn komme n … ruhig bleibe n … JETZT! Mit dem brennenden Ast im Schnabel schnellte Soren senkrecht in die Höhe. Das brennende Ende landete auf Kludds zerbrochener Maske.
Kludd stieß ein dumpfes Ächzen aus, das in einen grässlichen Schrei überging. Ruby, Soren und Morgengrau beobachteten gebannt, wie die Reste der Maske zu schmelzen anfingen und sich als flüssige Masse über Kludds ganzes Gesicht verteilten. Kludds Flügelschläge erlahmten.
Gleich stürzt er ab, dachte Soren. Doch sein Bruder gab sich noch nicht geschlagen. Kludd sammelte seine Kräfte, schlug wieder mit den Schwingen und öffnete den schmelzenden Schnabel: „Tod den Unreinen! Triumph den Tytos! Stirb, Soren! Stirb, Verräter an den Reinen! Stirb!“ Die Worte hingen zornsprühend in der Luft, dann verschwand der Hohe Tyto in der Nacht. Vier seiner Anhänger lagen tot am Boden, die übrigen folgten dem rot glühenden Schnabel ihres Anführers.
Auf einmal war es ganz still. Eine verbrannte Feder trudelte zur Erde nieder. Soren flog zu einem Baum hinüber.
Mein eigener Brude r … mein eigener Bruder ist Eisenschnabel und will mich tot sehen. Er will mich umbringen. Vor Sorens Augen verschwamm der Wald. Es kam ihm vor, als sei er allein in einer Zwischenwelt, die weder Erde noch Himmel war.
Gylfie flog zu ihm hoch. „Beruhige dich, Soren. Dein Bruder ist verrückt. Das ist es, wovor dich die Geisterschnäbel deiner Eltern warnen wollten.“ Soren wandte den Kopf. Ihm kamen die Tränen.
„Das bedeutet, dass meine Eltern nicht nach Glaumora dürfen, solange Eisenschnabel hier noch sein Unwesen treibt.“
„Bestimmt sind sie schon ein ganzes Stück näher an Glaumora dran, Soren. Und bestimmt sind sie mächtig stolz auf dich.“
Soren schaute sich um. Auf einem benachbarten Ast saßen Digger, Eglantine, Morgengrau, Otulissa, Ruby und Martin. Weiter unten hockte Ezylryb und blickte mit Tränen in den Augen zu den jungen Eulen hoch, denen er sein Leben verdankte.
Aber Soren konnte sich nicht freuen. Er musste immerzu an Kludd denken, daran, was Kludd ihm und Eglantine angetan hatte, und daran, was er selbst Kludd angetan hatte. Das war alles so grauenvoll, dass er sich zwang, an etwas anderes zu denke n – an seine allerbeste Freundin Gylfie.
Gylfie war überzeugt, dass seine Eltern Glaumora schon näher gekommen waren. Hoffentlich hat sie Recht, dachte er.
Er betrachtete die kleine Elfenkäuzin. Wie immer hatte sie im rechten Augenblick das Richtige gesagt. Aber was war mit ihren eigenen Eltern? Quälte sich Gylfie auch mit der Frage, ob sie noch am Leben waren oder ob sie als Geisterschnäbel zwischen der Erdenwelt und Glaumora ausharren mussten?
Soren überwand sich und sprach es aus. „Denkst du manchmal an deine Eltern, Gylfie?“
„Natürlich. Aber sie sind tot, glaube ich.“
„Und wenn nicht?“
„Wie meinst du das?“
Was wirklich hinter seiner Frage steckte, konnte Soren nicht sagen, weil es zu selbstsüchtig war. Wenn Gylfies Eltern nämlich noch lebten, würde Gylfie eines Tages in die Wüste Kuneer zurückkehren. Soren konnte den Gedanken nicht ertragen, seine beste Freundin zu verlieren.
„Nicht so wichtig“, antwortete er daher scheinbar beiläufig.
„Vielleicht fliegen wir beide ja irgendwann nach Kuneer und suchen sie. Dort gibt es eine Geisterwüste. Wenn meine Eltern auf Erden noch etwas zu erledigen hätten, würden sich ihre Geisterschnäbel bestimmt dort aufhalten.“
„Glaub ich
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