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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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verhielt er einen Moment den Schritt, während wir übrigen in ehrfürchtigem Schweigen warteten. »Wappnet euer Bewußtsein für die Berührung. Öffnet euch, doch erliegt nicht der Lust. Der Zweck der Gabe ist nicht, Lust zu empfinden.«
    Wegen der großen Abstände konnten wir unsere Gesichter nicht sehen, und Galen hatte verboten, daß wir uns »die Hälse verrenkten.« Deshalb hörten wir nur seine knappe, strenge Ermahnung und gleich darauf den scharfen Atemzug eines jeden Berührten. Zu Serene sagte er verachtungsvoll: »Öffnen sollst du dich und nicht auf dem Bauch kriechen wie ein getretener Hund.«
    Zu guter Letzt war ich an der Reihe. Wie er uns früher angewiesen hatte, versuchte ich, jede andere Sinneswahrnehmung auszuschließen und mich einzig auf ihn zu konzentrieren. Ich fühlte die Berührung seines Geistes wie ein leichtes Kitzeln an der Stirn. Nicht nachlassen. Das Gefühl wurde stärker, eine Wärme, ein Licht, aber ich ließ mich nicht hineinziehen. Galen materialisierte sich in meinem Kopf und betrachtete mich streng, und indem ich mich der Meditationstechniken bediente, die er uns gelehrt hatte, gelang es mir, ihm gegenüberzustehen, die Ekstase der Gabe spürend, doch ohne ihr zu erliegen. Dreimal durchströmte mich die Wärme, und dreimal hielt ich stand, dann zog er sich zurück. Er schenkte mir ein verdrossenes Kopfnicken, doch in seinen Augen las ich nicht Anerkennung, sondern eine aufkeimende Furcht.
    Diese erste Erfahrung der Gabe wirkte als Funke, der das Feuer entfacht. Ich begriff ihre Bedeutung. Noch beherrschte ich sie nicht, noch war ich nicht imstande, meine Gedanken zu übermitteln, aber mir war eine Gewißheit zuteil geworden, die sich nicht in Worte fassen ließ. Die Gewißheit, daß ich zu den Begabten gehörte, daß ich fähig sein würde, von der Gabe Gebrauch zu machen und nichts, gar nichts, das Galen an Mitteln ersinnen konnte, hätte mich davon abgehalten, es zu lernen.
    Ich glaube, er wußte es. Aus irgendeinem Grund machte es ihm angst, denn in den nächsten Tagen setzte er mir auf eine Art zu, die mir rückblickend unglaublich erscheint. Harte Worte und Strafen mußte ich hinnehmen, aber sie erreichten nicht ihren Zweck. Einmal versetzte er mir mit der Gerte einen Schlag ins Gesicht. Eine rote Strieme blieb zurück, und ausgerechnet als ich den Speisesaal betrat, war auch Burrich dort. Ich sah, wie seine Augen groß wurden. Er sprang von der Bank auf, und seine Wangenmuskeln mahlten auf eine Art, die ich nur zu gut kannte. Rasch wandte ich den Kopf zur Seite und schaute zu Boden. Einen Moment stand er da und starrte Galen an, der seinen Blick hochmütig erwiderte. Endlich, die Fäuste geballt, wandte Burrich sich ab und verließ den Raum. Ich atmete auf – es war nicht zu einem Zusammenstoß gekommen. Aber dann sah Galen mich an, und bei dem triumphierenden Ausdruck auf seinem Gesicht wurde mir kalt bis ins Mark. Ich war jetzt in seiner Hand, und er wußte es.
    Galen ließ keine Gelegenheit aus, mir Versagen vorzuwerfen, obwohl ich jede Aufgabe, die er mir stellte, spielend leicht bewältigte. Ich spürte, wie die anderen unbeholfen nach der Kostprobe der Gabe tasteten, die er uns darbot, aber für mich war es so einfach, wie die Augen aufzumachen. Ich erlebte einen Moment lähmender Angst. Er war mit der Gabe in mein Bewußtsein eingedrungen und ›dachte‹ mir einen Satz, den ich wiederholen sollte: »Ich bin ein Bastard und eine Schande für den Namen meines Vaters«, sagte ich laut und unbewegt. Dann hörte ich ihn wieder in meinem Kopf sprechen: Du beziehst Kraft aus irgendeiner Quelle, Bastard. Dies ist nicht deine Gabe. Bildest du dir ein, ich werde den Ursprung nicht finden? Erschrocken wich ich vor ihm zurück, damit er Fäustel nicht entdeckte. Galens Lächeln glich einem Zähnefletschen.
    Die nächsten Tage waren ein unablässiges Versteckspiel. Ich mußte ihm Zugang zu meinem Bewußtsein gewähren, um den Gebrauch der Gabe zu erlernen, und gleichzeitig das Kunststück vollbringen, alles zu verbergen, was ihm als Waffe gegen mich dienen konnte. Fäustel, auch Chade und den Narren versteckte ich vor ihm, Molly, Kerry und Dick und andere, ältere Geheimnisse, die ich nicht einmal mir selbst offenbarte. Er suchte danach, und ich lavierte mit meinen ungeschulten Kräften, um die Spuren zu verwischen. Doch trotz allem – oder vielleicht gerade deswegen – spürte ich, wie ich die Gabe immer besser beherrschte. »Willst du mich zum Narren halten?« brüllte

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