Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
nicht ausreden.
»Mein König«, sagte er förmlich, »Ihr und ich, wir wissen beide, daß wir am Rand des Abgrunds stehen. Und ausgerechnet in dieser kritischen Phase dürfen wir uns kein Nachlassen der Wachsamkeit erlauben. Ich habe keine Zeit, auf Freiersfüßen zu wandeln, und erst recht nicht für die diplomatischen Faxen bei der Suche nach einer Braut von königlichem Blut. Solange das Wetter hält, werden die Roten Korsaren ihr Unwesen treiben, und wenn es umschlägt und die Stürme sie zwingen, in ihren Heimathäfen Schutz zu suchen, müssen wir die Schonfrist dazu nutzen, unsere Küstenlinien besser zu sichern und Männer zu Seeleuten auszubilden, um eigene Kriegsschiffe auszurüsten. Darüber wollte ich mit Euch sprechen, Herr Vater. Die Not gebietet, daß wir uns eine Flotte schaffen, nicht dickbäuchige Kauffahrer, die sich den Piraten als fette Beute geradezu anbieten, sondern schnelle Seefalken, wie sie einst unser Stolz waren und wie unsere ältesten Schiffbauer sie heute noch zu konstruieren verstehen. Tragen wir den Krieg zu den Outislandern, ja, trotz der Winterstürme. Früher brachte unser Volk kühne Seefahrer und Krieger hervor, die ein solches Wagnis unternommen hätten. Wenn wir jetzt anfangen zu bauen und auszubilden, könnten wir im Frühjahr gerüstet sein, dem Feind Paroli zu bieten, und bis zum Winter ...«
»Und wo das Geld hernehmen? Wenn die Angst im Land umgeht, fließen die Steuern nur spärlich. Sollen unsere Untertanen ihre Börse auftun, müssen die Kaufleute genug Vertrauen haben, um weiter Handel zu treiben, und die Bauern dürfen keine Angst haben, am Meer ihre Herden zu weiden. Es läuft alles darauf hinaus, Veritas, daß du eine Gemahlin nimmst.«
Veritas, der fast leidenschaftlich sein Plädoyer für den Bau einer Kriegsflotte gehalten hatte, lehnte sich zurück. »Wie Ihr wünscht, Herr Vater«, sagte er dumpf, doch gleichzeitig schüttelte er den Kopf, als stimmte sein Fühlen nicht mit seinen Worten überein. »Ich werde tun, was Ihr für richtig haltet. Wie es sich für einen Prinzen und Thronerben geziemt. Doch für den Mann ist es eine bittere Pflicht, eine Gemahlin nehmen zu müssen, die sein jüngerer Bruder für ihn ausgewählt hat. Ich bin sicher, nachdem sie Edel kennt, wird sie mich als Enttäuschung empfinden.« Veritas schaute auf seine Hände, auf die Narben von Kampf und Arbeit, die sich deutlich von der blaß gewordenen Haut abhoben. Sein Name spiegelte sich in seinen Worten, als er fortfuhr: »Immer bin ich Euer zweiter Sohn gewesen. Hinter Chivalric mit seiner Schönheit, Kraft und Klugheit. Und jetzt hinter Edel mit seiner Raffinesse, seinem Charme, seiner Geschmeidigkeit. Ich weiß, du hältst ihn für einen besseren König-zur-Rechten. Manchmal bin ich geneigt, dir beizupflichten. Ich bin der Zweitgeborene und wurde erzogen, der Zweite im Staat zu sein. Ich habe immer angenommen, ich würde hinter dem Thron stehen, nicht ihn besteigen. Daß Chivalric ausersehen war, deine Nachfolge anzutreten, hat mich nicht gegrämt. Mein Bruder verlieh mir das Gefühl, etwas wert zu sein. Das Vertrauen, das er in mich setzte, war eine Auszeichnung, es machte mich zu einem Teil von allem, was er erreichte. Eines solchen Königs rechte Hand zu sein war mehr, als in einem geringeren Reich selbst zu herrschen. Ich glaubte an ihn, wie er an mich glaubte. Doch er hat uns verlassen. Und es wird Euch nicht überraschen, Vater, wenn ich Euch sage, daß zwischen Edel und mir kein solches Band gegenseitiger Achtung existiert. Vielleicht trennen uns zu viele Jahren, vielleicht waren Chivalric und ich uns so nahe, daß kein Raum für einen dritten blieb, das sei dahingestellt. Doch ich glaube nicht, daß er nach einer Frau Ausschau gehalten hat, die mich lieben könnte. Oder die ...«
»Er hat dir eine Königin auserwählt!« fiel Listenreich ihm schroff ins Wort. Ich merkte, sie sprachen nicht das erstemal über dieses Thema, und der König war ungehalten, weil es ausgerechnet in meiner Gegenwart darüber erneut zum Streit zwischen ihm und seinem Sohn kam. »Edel suchte nicht eine Frau, nicht für dich oder ihn selbst oder irgendsolche Albernheiten. Er wählte eine Frau, die geeignet ist, Königin dieses Reiches zu sein, dieser Sechs Provinzen. Eine Frau, die uns die Mittel bringt und Truppen und die Handelsabkommen, die wir in unserer Lage zum Überleben brauchen. Zarte Hände und ein süßer Duft bauen dir nicht deine Flotte von Kriegsschiffen, mein Sohn. Du mußt diese
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