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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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raubten unsere Landsleute und schickten sie als Entfremdete wieder zurück. Uns zum Hohn und zur Plage. Die Leute hatten Angst, zum Fischen hinauszufahren, Handel zu treiben oder an den Flußmündungen das Land zu bestellen. Ungeachtet dessen mußten die Steuern erhöht werden, um die Soldaten und die Wächter zu unterhalten, die trotz ihrer wachsenden Zahl unfähig zu sein schienen, uns vor den Roten Korsaren zu schützen. Listenreich hatte mich widerwillig von meinem Dienst bei Veritas entbunden, und mir kam es vor, als sei ich in Ungnade gefallen, doch nach über einem Monat wurde ich unerwartet eines Morgens zu einem Frühstück in seine Gemächer bestellt.
    »Es ist eine ungünstige Zeit zum Heiraten«, argumentierte Veritas. Ich blickte auf den bleichen, hageren Mann, der mit dem König zu Tisch saß, und fragte mich, ob dies der kräftige, lebensvolle Prinz aus meinen Kindertagen sein konnte. So sehr hatte er sich in nur einem Monat verändert. Er spielte mit einem Stück Brot, legte es weg. Seine Wangen hatten die gesunde Farbe verloren, sein Haar war stumpf, seine Muskeln schlaff. Das Weiß seiner Augen schimmerte gelblich. Burrich hätte ihn entwurmt, wäre er ein Hund gewesen.
    Ungefragt meldete ich mich zu Wort: »Vor zwei Tagen war ich mit Leon auf der Jagd. Er hat ein Kaninchen gefangen.«
    Veritas wandte sich mir zu, ein Ausdruck von Erheiterung belebte seine Züge. »Du bist mit meinem Wolfshund auf Kaninchen gegangen?«
    »Es hat ihm Spaß gemacht. Aber er vermißt Euch. Er brachte mir das Kaninchen, und ich habe ihn gelobt, aber das schien ihm nicht zu genügen.« Ich konnte ihm nicht sagen, wie der Hund mich angeschaut hatte und mir durch seinen Blick und seine Haltung zu verstehen gab: Nicht für dich.
    Veritas griff nach seinem Glas, seine Hand zitterte kaum merklich. »Ich bin froh, daß er Auslauf hat, Junge. Das ist besser als ...«
    »Die Hochzeit«, warf Listenreich ein, »wird dem Volk Zuversicht einflößen. Ich werde alt, mein Sohn, und die Zeiten sind unruhig. Das Volk sieht kein Ende des Ungemachs, und ich kann ihm keine raschen Siege versprechen. Die Outislander haben recht, Veritas, wir sind nicht mehr die Krieger, die einst an diesen Küsten landeten. Wir sind ein seßhaftes Volk geworden. Und ein seßhaftes Volk ist auf andere Weise verwundbar als Nomaden oder Vagabunden. Was wir schaffen, soll dauern. Ein seßhaftes Volk findet Sicherheit in dem Bewußtsein einer gesicherten Zukunft.«
    Hier blickte ich ihn scharf an. Das waren Chades Worte, meinen Kopf hätte ich darauf verwettet. Handelte es sich bei dieser Hochzeit um ein Arrangement, bei dem Chade seine Hand im Spiel hatte? Meine Neugier wuchs. Weshalb war ich zu diesem Frühstuck eingeladen worden?
    »Es geht darum, unserem Volk dieses Bewußtsein von Sicherheit zu vermitteln, Sohn. Du besitzt weder Edels Charme noch Chivalrics Ausstrahlung von Unbesiegbarkeit. Dies soll keine Schmälerung deiner Verdienste sein, die Gabe ist in dir so stark wie nur bei wenigen unseres Geschlechts, und in vielen Epochen wäre dein taktisches Genie für uns wichtiger gewesen als Chivalrics diplomatisches Geschick.«
    Das klang in meinen Ohren verdächtig nach einer einstudierten Rede. Ich sah Listenreich an, der eine Brotschnitte mit Käse belegte und nachdenklich hineinbiß. Veritas saß schweigend da und beobachtete seinen Vater. Er machte einen zugleich konzentrierten und abwesenden Eindruck wie jemand, der sich verzweifelt bemüht, wach und wachsam zu bleiben, während er sich nichts anderes wünscht, als den Kopf auf ein Kissen zu betten und die Augen zu schließen. Da ich nach meiner kurzen Erfahrung mit der Gabe wußte, welche Selbstbeherrschung es erforderte, einerseits ihren Verlockungen zu widerstehen und sie sich andererseits zunutze zu machen, staunte ich über die Leistung, die Veritas vollbrachte, indem er jeden Tag diese Gratwanderung meisterte.
    Listenreich schaute von Veritas zu mir und wieder in das Gesicht seines Sohnes. »Kurz gesagt, du mußt heiraten. Mehr noch, du mußt ein Kind zeugen. Das Volk wird sagen: ›Nun, es kann alles nicht so schlimm sein, wenn unser Prinz sich nicht fürchtet, zu heiraten und ein Kind in die Welt zu setzen. Bestimmt täte er das nicht, wenn die Gefahr bestünde, daß das Reich in Trümmer fällt‹.«
    »Aber du und ich, wir wissen es besser, nicht wahr, Herr Vater?« In Veritas' Stimme schwang eine ungewohnte Bitterkeit mit.
    »Veritas ...«, begann Listenreich, aber sein Sohn ließ ihn

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