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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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die Füße, bildlich gesprochen, und machte sich davon.« Veritas beugte sich über das Tablett und nahm den Deckel von einem Teller mit Suppe. »Ich bin immer davon ausgegangen, du wüßtest das alles. Dumm von mir, denn woher solltest du es erfahren.«
    Ich klammerte mich an die eine Aussage, die sich mir eingeprägt hatte. »Ihr könntet mich lehren zu ›denken‹?«
    »Wenn ich Zeit hätte. Sehr viel Zeit. Du hast viel Ähnlichkeit mit Chiv und mir, als wir Schüler der Gabe waren. Sprunghaft. Stark, jedoch ohne Vorstellung davon, wie diese Stärke zu nutzen wäre. Und Galen hat – ich nehme an, er hat dich eingeschüchtert. Du hast Mauern, die ich nicht ohne weiteres überwinden kann. Als erstes müßtest du lernen, deine Barrieren niederzureißen, und das ist sehr schwer. Aber ich könnte dich unterweisen, ja. In einem Jahr gemeinsamer Arbeit, durch nichts anderes abgelenkt.« Er schob die Suppe von sich weg. »Nur haben wir diese Zeit nicht.«
    Wieder stürzten meine Hoffnungen in sich zusammen. Die zweite Woge der Enttäuschung brach über mich herein, zermalmte mich zwischen den Steinen vergeblich gebliebener Mühen. Der Schleier zerriß, und mir stand deutlich vor Augen, was geschehen war. Ohne Fäustel hätte ich mich in jener Nacht von den Zinnen des Turms in die Tiefe gestürzt. Galen hatte versucht, mich zu töten, so gewiß, als wäre er mit der blanken Klinge auf mich losgegangen. Und niemand hätte je gewußt, was zwischen uns vorgefallen war, außer seinen loyalen Musterschülern. Mich in den Selbstmord zu treiben war ihm nicht gelungen, doch er hatte mich um mein Erbe betrogen – die Gabe. Er hatte mich verstümmelt, und ich ... Rachdurstig sprang ich auf.
    »Langsam, langsam. Immer mit der Ruhe. Du hegst einen berechtigten Groll, aber zur Zeit können wir uns keinen Zwist in den eigenen Reihen leisten. Halte ihn in deinem Herzen verschlossen, bis du ihn ohne Aufsehen aus der Welt schaffen kannst, unserem König zuliebe.« Die Weisheit seines Vorschlags leuchtete mir ein, und ich nickte. Er deckte ein gebratenes Täubchen auf und wieder zu. »Warum willst du überhaupt ›denken‹ lernen? Im Grunde genommen ist es eine jämmerliche Sache. Keine angemessene Beschäftigung für einen Mann.«
    »Um Euch zu helfen«, antwortete ich, ohne zu überlegen, aber es stimmte. Früher hätte ich andere Gründe genannt: Um zu beweisen, daß ich ein würdiger Sohn Chivalrics bin. Um Burrich oder Chade zu beeindrucken. Um an Ansehen zu gewinnen. Jetzt, nachdem ich erlebt hatte, was Veritas leistete, Tag für Tag, ohne Anerkennung, ohne Dank von seinen Untertanen, hatte ich keinen anderen Wunsch, als auch das meine zu tun.
    »Um mir zu helfen«, wiederholte er. Der Sturm draußen flaute ab, und Veritas hob mit müder Resignation den Blick zum Fenster. »Nimm das Essen weg, Junge. Ich habe keine Zeit dafür.«
    »Aber Ihr braucht Kraft«, wandte ich ein. Mir schlug das Gewissen, weil er eine Ruhepause, die er dringend benötigte, an mich vergeudet hatte.
    »Ich weiß. Aber ich habe keine Zeit. Essen bedeutet Kraftanstrengung. Merkwürdig, das zu erkennen. Und im Moment habe ich keine Kraft übrig.« Seine Augen hatten wieder den fernen Blick, sie bemühten sich, den Regenvorhang zu durchdringen, der anfing, sich zu lichten.
    »Ich würde Euch meine Kraft geben, Veritas. Wenn ich könnte.«
    Er sah mich seltsam an. »Bist du sicher? Ganz sicher?«
    Ich verstand nicht, weshalb er so eindringlich fragte, aber ich wußte die Antwort. »Natürlich bin ich sicher.« Und feierlich fügte ich hinzu: »Ich bin ein Vasall des Königs.«
    »Und von meinem eigenen Blut.« Ein schwer zu deutender Ausdruck flog über sein Gesicht. Er schaute wieder aus dem Fenster. »Es ist gerade noch Zeit«, flüsterte er. »Und sie könnte reichen. Verdammt sollst du sein, Vater. Mußt du immer gewinnen? Dann komm her, Junge.«
    Sein Ton jagte mir Angst ein, aber ich gehorchte und hielt still, als er die Hand ausstreckte und sie mir auf die Schulter legte, als brauchte er Hilfe, um aufzustehen.
     
    Ich lag auf dem Boden und sah zu ihm auf. Unter dem Kopf hatte ich ein Kissen, und Veritas' Decke war über mich gebreitet. Er selbst stand am Fenster. Sein ganzer Körper bebte vor Aufregung, die Gabe strömte aus ihm aus, in mächtigen Wellen, die ich fast spüren konnte. »Auf die Klippen«, sagte er mit tiefer Befriedigung und drehte sich schwungvoll herum. Sein Grinsen war das des alten Veritas', blitzend, kriegerisch, doch als sein Blick

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