Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
zusammen, nur verlangte mein Magen vorerst noch kategorisch nach pfleglicher Behandlung. Am meisten beeindruckte mich die Selbstverständlichkeit dieses Gebens und Nehmens zwischen Königshaus und Untertanen. Dazu paßte, daß an den Türen des Palastes keine Wachen standen. Alle aßen und plauderten unbefangen, als gäbe es keine Schranken zwischen ihnen.
Pünktlich zur Mittagsstunde trat Stille ein. Prinzessin Kettricken bestieg das Podium in der Mitte, um in schlichten Worten bekanntzugeben, daß sie sich von ihrem Volk lossagte, um von nun an dem Volk der Sechs Provinzen anzugehören. Sie dankte ihrem Land für alles, was es ihr geschenkt hatte, die Früchte der Erde, die Wasser der Schneeschmelze und der Wildbäche, die reine Luft der Höhen. Nicht, weil sie ihre Heimat nicht liebte, ging sie fort, sondern vielmehr in der Hoffnung, mit diesem Schritt der alten wie der neuen Heimat zu dienen. Alle lauschten schweigend ihren Worten, und erst nachdem sie das Podium verlassen hatte, setzte das fröhliche Stimmengewirr wieder ein.
Rurisk kam, um zu sehen, wie es mir erging. Ich versicherte ihm, ich hätte mich völlig erholt, obwohl ich mich in Wirklichkeit danach sehnte zu schlafen. Die von Mistress Hurtig für mich geschneiderte Festkleidung entsprach der neuesten höfischen Mode, besaß also höchst unpraktische Ärmel und Quasten, die vor allem beim Essen störten, sowie eine atemberaubend enge Taille. Ich sehnte mich danach, aus dem Gedränge herauszukommen, um einige Bänder zu lösen und den Kragen loszuwerden, doch ich wußte, wenn ich die Feier jetzt verließ, würde Chade später verlangen, daß ich trotzdem über alles Bescheid wußte, was während meiner Abwesenheit vorgefallen war. Rurisk schien mein Bedürfnis nach etwas Ruhe zu bemerken, denn er schlug einen Spaziergang zu den Hundezwingern vor. »Laß mich dir zeigen, was die Zufuhr von etwas frischem Blut aus Bocksburg vor einigen Jahren für meine Zucht getan hat.«
Wir verließen den Palast und gingen einen kurzen Weg hinunter zu einer niedrigen, langgestreckten Holzbaracke.
In der frischen Luft ging es mir fast augenblicklich besser. Drinnen führte er mich zu einer Hündin, die über ihren Wurf rostroter Welpen wachte. Es waren vor Gesundheit strotzende kleine Gesellen mit glänzendem Fell, die durchs Stroh krochen und purzelten. Sie kamen neugierig und ohne die geringste Scheu auf uns zu. »Diese haben den Bocksburg-Einschlag und folgen einer Fährte sogar im Regen«, erklärte Rurisk stolz. Er zeigte mir auch die übrigen Tiere, unter anderem einen winzigen Hund mit drahtigen Beinen, der, wie er behauptete, dem Wild sogar auf Bäume nachkletterte.
Wir traten aus dem Zwinger in die Sonne hinaus, wo ein alter Rüde faul auf einem Strohlager döste. »Schlaf weiter, alter Knabe. Du hast so viel Nachwuchs gezeugt, daß du niemals wieder auf die Jagd gehen mußt, außer dir steht der Sinn danach«, sagte Rurisk zu ihm. Beim Klang der Stimme seines Herrn erhob der alte Hund sich steifbeinig, um ihn zu begrüßen. Er schaute zu mir auf, und es war Nosy.
Ich starrte ihn an, und seine braunen Augen erwiderten den Blick. Als ich behutsam nach ihm spürte, empfing ich im ersten Moment nur Verwirrung, aber dann eine Flut von guten Gefühlen und der Erinnerung an gegenseitige Zuneigung. Es gab keinen Zweifel daran, daß er jetzt Rurisks Hund war, das Band zwischen uns bestand nicht mehr in der Intensität wie früher, doch er gedachte mit Wonne der Zeit unserer Jugend. Ich ließ mich auf ein Knie nieder, streichelte über das grannige rote Fell und schaute in die vom Alter bereits leicht getrübten Augen. Verstärkt durch die körperliche Berührung, war das Band fast wieder so stark wie damals. Ich spürte, er genoß es, in der Sonne zu liegen, doch war er auch einem kleinen Ausflug in Wald und Flur nicht abgeneigt, besonders wenn Rurisk mitkam. Ich klopfte ihm den Rücken, stand auf und merkte, daß der Prinz mich eigenartig ansah. »Ich kannte ihn, als er klein war«, erklärte ich.
»Burrich hat ihn mir vor etlichen Jahren durch einen fahrenden Schreiber schicken lassen«, erzählte Rurisk. »Er hat mir viel Freude bereitet durch seine Gesellschaft und auf der Jagd.«
»Ihr seid ihm ein guter Herr gewesen«, sagte ich.
Kaum hatte Rurisk sich von mir getrennt, nachdem wir in den Palast zurückgekehrt waren, ging ich schnurstracks zu Burrich. Er hatte soeben die Erlaubnis bekommen, die Pferde zurück auf die Weide zu bringen, denn auf Dauer
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