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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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war nicht länger der erste Gefolgsmann des Königs-zur-Rechten. Abgesehen davon, daß er den Blendling unter seine Fittiche genommen hatte, war er überhaupt nicht mehr Chivalrics Gefolgsmann. Kein Wunder, daß er mich nicht ohne stummen Vorwurf ansehen konnte. Er hatte den Bastard nicht gezeugt, der ihm so viel Unglück brachte. Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, empfand ich so etwas wie Mitleid mit ihm.

Kapitel 5
Beziehungen
     
    In einigen Königreichen und Ländern ist es Sitte, daß männliche Nachkommen gegenüber weiblichen in der Erbfolge Vorrang genießen. In den Sechs Provinzen hat es nie einen dementsprechenden Brauch gegeben. Titel werden ausschließlich nach der Reihenfolge der Geburt weitervererbt.
    Von demjenigen, der einen Titel erbt, wird erwartet, daß er sich als Verwalter betrachtet. Wäre ein Regierender so unklug, zuviel Holz schlagen zu lassen, die Weinberge zu vernachlässigen oder etwa nicht darauf zu achten, daß im Viehbestand keine Inzucht auftritt, könnten seine Untertanen sich erheben und den König um Gerechtigkeit ersuchen. Solches ist vorgekommen, und jeder Edelmann weiß, daß es wieder geschehen kann. Das Wohlergehen des Volkes liegt beim Volk, und es hat das Recht, Beschwerde zu führen, wenn der Herzog sein Amt schlecht versieht.
    Auch in der Frage der Eheschließung findet diese Sachlage Berücksichtigung. Der oder die Auserwählte muß willens sein, den eigenen Titel an das nächstjüngere Geschwister weiterzugeben. Man kann nur getreuer Verwalter eines Besitzes sein. Gelegentlich sind daraus Zwistigkeiten entstanden. König Listenreich nahm Lady Desideria zur Gemahlin, die Herzogin von Farrow geworden wäre, hätte sie sich nicht entschieden, seine Werbung anzunehmen. Es heißt, daß sie nach einiger Zeit ihren Entschluß bereute und sich einredete, als Herzogin hätte sie größere Macht besessen. Sie heiratete Listenreich wohl wissend, daß sie seine zweite Königin war und daß seine erste Gemahlin ihm bereits zwei Erben geboren hatte. Von Anfang an machte sie kein Hehl aus ihrer Abneigung gegen die beiden älteren Prinzen und wurde nicht müde zu betonen, da sie von sehr viel vornehmerer Abkunft sei als ihre Vorgängerin, stünde ihr Sohn, Edel, über seinen beiden Halbbrüdern. Mit der Wahl des Namens für ihren Sohn versuchte sie, andere in diesem Sinne zu beeinflussen. Zu ihrem Verdruß betrachtete man diesen Schachzug im allgemeinen als geschmacklos. Bei Hofe nannte man sie sogar manchmal spottend die Inlandskönigin, denn im Rausch pflegte sie offen zu verkünden, sie besäße den nötigen politischen Einfluß, um Farrow und Tilth zu einem Königreich zu vereinen, das stark genug wäre, auf ihr Verlangen König Listenreichs Herrschaft abzuschütteln. Man schrieb diese Äußerungen ihrer Vorliebe für berauschende Substanzen zu, sowohl alkoholischer als auch pflanzlicher Art, aber es stimmt, daß sie, bevor sie schließlich ihrer Sucht erlag, nicht unerheblich dazu beitrug, die Kluft zwischen den Herzogtümern im Inland und an der Küste zu vergrößern.
     
    Nach und nach begann ich mich auf meine nächtlichen Zusammenkünfte mit Chade zu freuen. Sie erfolgten nicht in regelmäßigen Abständen oder nach einem festen Plan. Es kam vor, daß ein, zwei Wochen zwischen den Treffen lagen. Dann wieder bestellte er mich eine Woche lang jeden Abend zu sich, so daß ich Mühe hatte, am Tag meinen Pflichten nachzukommen. Manchmal rief er mich, kaum daß in der Burg alles schlief, dann wieder in der Stunde kurz vor Morgengrauen. Es war ein anstrengendes Pensum für einen heranwachsenden Jungen, aber nie dachte ich daran, mich bei Chade zu beschweren oder seinem Ruf nicht zu folgen. Ich glaube auch nicht, daß ihm je der Gedanke kam, die nächtlichen Lektionen könnten für mich ein Problem sein. Da er selbst ein Nachtmensch war, mußte es für ihn eine vollkommen natürliche Zeit gewesen sein, um mich zu unterrichten. Und die Dinge, die ich lernte, waren den dunkleren Stunden der Welt merkwürdig angemessen.
    Sein Lehrstoff war von einer immensen Vielfalt. Einen Abend studierte ich vielleicht die Illuminationen in dem großen Pflanzenbuch aus seiner Bibliothek, im Zusammenhang mit der Aufgabe, am nächsten Tag sechs beliebige der abgebildeten Gewächse zu sammeln. Er hielt es nicht für nötig, mir wenigstens zu verraten, ob ich im Küchengarten oder irgendwo im tiefsten Wald nach den Kräutern suchen sollte, aber ich fand sie trotzdem und lernte dabei, meine

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