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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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ich, daß hinter dieser Sache mehr steckte als nur eine Laune Chades. Ich erhielt meine Instruktionen in der toten Stunde vor Tagesanbruch. »Lord Jessup und seine Gemahlin sind seit zwei Wochen hier zu Gast. Du kennst sie vom Sehen; er hat einen sehr langen Schnurrbart, und sie zupft ständig an ihrem Haar, selbst bei Tisch. Du weißt, wen ich meine?«
    Ich runzelte die Stirn. Eine Anzahl von Edelleuten hatte sich in Bocksburg eingefunden, um zu beraten, wie man sich der Raubüberfälle der Outislander erwehren sollte. Soweit ich es verstand, verlangten die Küstenprovinzen mehr Kriegsschiffe, aber die Herzogtümer im Inland weigerten sich rundweg, mit ihren Steuern etwas zu finanzieren, das sie nach ihrer Ansicht nicht berührte. Lord Jessup und Lady Dahlia waren Inländer. Jessup mit dem Schnurrbart schien ein heftiges Temperament zu besitzen und sich ständig in einem Zustand leidenschaftlicher Erregung zu befinden. Lady Dahlia hingegen zeigte nicht das geringste Interesse an den Beratungen und verbrachte die meiste Zeit damit, in der Burg herumzuschlendern.
    »Sie trägt stets Blumen im Haar? Die sie dauernd verliert?«
    »Das ist sie.« Chade nickte lebhaft. »Gut. Du kennst sie. Nun, hier deine Aufgabe, und ich habe keine Zeit, die Durchführung mit dir zu planen. Irgendwann heute wird sie einen Pagen in Prinz Edels Gemächer schicken. Der Page wird etwas überbringen – einen Brief, eine Blume, einen Gegenstand. Du wirst den Gegenstand aus dem Gemach entfernen, bevor Edel ihn findet. Hast du verstanden?«
    Ich nickte und machte den Mund auf, um etwas zu sagen, doch Chade erhob sich plötzlich und scheuchte mich fast aus dem Zimmer. »Keine Zeit, es tagt schon!« mahnte er.
    Aus meinem Versteck in Edels Gemächern beobachtete ich, wie der Page hereinkam. Seine Art verriet, daß dies nicht seine erste geheime Mission war. Er legte eine kleine Schriftrolle und eine Rosenknospe auf Edels Kopfkissen und huschte wieder hinaus. Minuten später war beides in meinem Wams verstaut und dann unter meinem eigenen Kissen. Ich glaube, der schwierigste Teil der Aufgabe war, standhaft zu bleiben und die Schriftrolle nicht zu öffnen. Spät in der Nacht übergab ich Chade meine zwei Beutestücke.
    Während der nächsten Tage wartete ich auf den Eklat, der unweigerlich folgen mußte, und hoffte, Edel in ernsten Ungelegenheiten zu erleben. Doch zu meiner Verwunderung geschah nichts. Edel benahm sich wie immer, höchstens, daß er noch sarkastischer war als sonst und noch unverfrorener mit jeder Dame anbandelte. Was Lady Dahlia anbetraf, sie bekundete ein plötzliches Interesse am Stand der Verhandlungen und wurde zur Verblüffung ihres Gatten eine energische Befürworterin der Steuer zum Ausbau der Flotte. Die Königin verlieh ihrem Mißfallen über diesen Seitenwechsel Ausdruck, indem sie Lady Dahlia demonstrativ von einer Weinprobe in ihren Gemächern ausschloß. Die ganze Angelegenheit stellte mich vor ein Rätsel, doch als ich Chade daraufhin ansprach, handelte ich mir eine Zurechtweisung ein.
    »Denk daran, du bist der Vasall des Königs. Man gibt dir einen Auftrag, und du führst ihn aus. Daß du ihn gut ausführst, sollte dir genügen. Mehr brauchst du nicht zu wissen. Listenreich ist derjenige, der die Schachzüge plant und die Strategie festlegt. Du und ich, wir mögen die Bauern sein, die er hin und her schiebt, aber wir sind wichtige Bauern, sei dessen versichert.«
    Doch schon bei einer früheren Gelegenheit hatte Chade festgestellt, wo die Grenzen meines Gehorsams lagen. Um das Pferd zu lähmen, hatte er vorgeschlagen, es zu vernageln. Nicht im Traum dachte ich daran, das zu tun. Ich belehrte ihn als jemand, der mit Pferden aufgewachsen war, daß es viele Mittel gab, ein Pferd lahmgehen zu lassen, ohne ihm wirklich Schaden zuzufügen, und er solle es getrost mir überlassen, das geeignete auszuwählen. Bis heute weiß ich nicht, was Chade über meine Weigerung gedacht hat. Er sagte weder etwas dagegen, noch äußerte er Zustimmung. Hierin, wie in vielen anderen Dingen, blieb er undurchsichtig.
    Ungefähr alle drei Monate ließ König Listenreich mich zu sich kommen, meist sehr früh am Morgen. Ich stand vor ihm, während er ein Bad nahm oder man ihm das Haar zu dem golddurchwirkten Zopf flocht, der allein dem Monarchen vorbehalten war, oder sein Leibdiener ihm die Gewänder zurechtlegte. Das Ritual war immer das gleiche. Er musterte mich von Kopf bis Fuß, begutachtete meinen Wuchs und mein Äußeres, als wäre ich

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