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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Beobachtungsgabe zu nutzen.
    Er dachte sich auch Spiele aus. Zum Beispiel, daß ich am Morgen zu Sarah, der Köchin, gehen und sie fragen sollte, ob der Speck von diesem Jahr magerer wäre als der vom letzten. Dann mußte ich am Abend desselben Tages Chade das gesamte Gespräch wiedergeben, so wortgetreu wie möglich, und ihm ein Dutzend Fragen beantworten, über ihre Haltung und ob sie Linkshänderin sei und ob es den Anschein hatte, daß sie schlecht hörte, und was sie gerade kochte. Meine Schüchternheit und Menschenscheu galten nicht als ausreichende Entschuldigung, um einen derartigen Auftrag nicht auszuführen. Deshalb ergab es sich zwangsläufig, daß ich viele vom Gesinde, den Knechten und Mägden in der Burg kennenlernte. Obwohl meine Fragen von Chade kamen, freute sich jeder über mein Interesse und war bereit, mich an seinen Kenntnissen teilhaben zu lassen. Ohne eigenes Verdienst erwarb ich mir so den Ruf eines »klugen Burschen« und eines »braven Jungen«. Jahre später begriff ich, daß diese Aufgaben nicht nur eine gute Gedächtnisübung waren, sondern auch eine Lektion im Umgang mit den einfachen Leuten und wie man sie sich geneigt macht. Mehr als einmal seither haben mir ein Lächeln, ein anerkennendes Wort, wie gut mein Pferd versorgt worden war, und eine beiläufige Frage an den Stallburschen Informationen eingebracht, die alle Dukaten des Königreichs nicht aus ihm herausgelockt hätten.
    Andere Spiele dienten dazu, außer meiner Beobachtungsgabe auch meinen Wagemut zu schulen. Eines Tages zeigte Chade mir ein Garnknäuel und erklärte mir, ohne Mistress Hurtig zu fragen, müsse ich herausfinden, wo sie genau das gleiche Garn aufbewahrte und welche Kräuter man verwendet hatte, um es zu färben. Drei Tage später ging es darum, ihre beste Schere verschwinden zu lassen, für drei Stunden hinter einem bestimmten Weinregal im Keller zu verstecken und dann wieder an den alten Platz zurückzulegen – all das natürlich, ohne von ihr oder jemand anderem entdeckt zu werden. Solche Übungen entsprachen der natürlichen Vorliebe eines Jungen für Schabernack, und nur selten mißlang mir etwas. Wurde ich ertappt, mußte ich allein die Folgen tragen. Chade hatte mir gesagt, er werde mich nicht in Schutz nehmen, und empfahl mir, immer eine glaubhafte Erklärung parat zu haben, weshalb ich war, wo ich nicht sein sollte, oder besaß, was nicht in meinen Besitz gehörte.
    Ich lernte, meisterhaft zu lügen, und ich bin überzeugt, genau so war es geplant.
    Das waren die Lektionen in meinem ersten Lehrjahr als Schüler eines Assassinen. Und mehr. Taschenspielerei und die Kunst, sich lautlos zu bewegen. Wohin einen Mann schlagen, damit er das Bewußtsein verliert. Wohin einen Mann schlagen, damit er stirbt, ohne einen Laut von sich zu geben. Wohin den Dolch lenken, um möglichst wenig Blut zu vergießen. Ich lernte auch das schnell und gut, angespornt von Chades Lob für meine rasche Auffassungsgabe.
    Bald fing er an, mir kleine Arbeiten zu übertragen. Vorher wußte ich nie, ob es Prüfungen meiner Fähigkeiten oder wirkliche Pflichten waren, die er pünktlich erledigt sehen wollte. Für mich machte es keinen Unterschied. Ich führte sie alle mit dem gleichen Feuereifer aus, in blinder Verehrung meines Lehrmeisters. Im Frühling präparierte ich die Trinkbecher einer Delegation von Kaufleuten, so daß der Wein ihnen schneller zu Kopfe stieg. Später im selben Monat versteckte ich die Marionette eines gastierenden Puppenspielers, der infolgedessen gezwungen war »Den Vorfall der vertauschten Kelche« zu bringen, einen heiteren kleinen Schwank, anstelle des langstieligen Historiendramas, das für den Abend auf dem Programm stand. Am Mittsommerfest praktizierte ich ein bestimmtes Kräutlein in den Nachmittagstee einer Dienstmagd, so daß sie und ihre drei Freundinnen mit Bauchgrimmen geschlagen wurden und abends nicht bei Tisch aufwarten konnten. Im Herbst band ich eine Schnur um die Fessel des Pferdes, das einem zu Besuch weilenden Edelmann gehörte, damit das Tier lahmte und der Gast wohl oder übel zwei Tage länger in Bocksburg bleiben mußte, als er vorgehabt hatte. Falls diese Streiche jeweils einem bestimmten Zweck dienten, erfuhr ich davon nichts. In meinem Alter bereitete mir das Wie ohnehin mehr Kopfzerbrechen als das Warum. Auch das, glaube ich heute, gehörte zu den Dingen, die ich lernen sollte: gehorchen, ohne Fragen zu stellen.
    Ein Auftrag machte mir besonders großen Spaß. Damals schon wußte

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