Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
lautlos, dann nickte er beinahe traurig. Ich vertauschte den schäbigen Kittel mit meinem Nachthemd, und Chade begleitete mich die Treppe hinunter. In meinem Zimmer angelangt, hielt er mir die Lampe, während ich in das große Bett klomm, und deckte mich zu, wie es seit meinem Auszug aus Burrichs Kammer niemand mehr getan hatte. Ich glaube, ich schlief schon, bevor er hinausgegangen war.
Am nächsten Morgen schickte man Brant, um mich zu wecken, so gründlich hatte ich verschlafen. Ich fühlte mich benommen, und mein Kopf schmerzte zum Zerspringen, doch kaum war ich wieder allein, da sprang ich aus dem Bett und lief in die Ecke meines Zimmer, wo sich die mysteriöse Tür befunden hatte. Unter meinen Handflächen spürte ich nur kalten Stein. Kein Riß, kein Spalt wies auf die geheime Pforte hin, von deren Vorhandensein ich felsenfest überzeugt war. Nicht für einen Augenblick glaubte ich, Chade könnte ein Traum gewesen sein, und selbst wenn, da war noch der schmucklose Kupferreif an meinem Handgelenk, um mich von der Realität des Erlebten zu überzeugen.
Ich streifte rasch die Kleider über und griff mir in der Küche im Vorbeigehen ein Stück Brot und Käse, an denen ich noch kaute, als ich im Stall ankam.
Burrich war ob meiner Trägheit außer sich und fand an allem, was ich tat, etwas auszusetzen. Ich erinnere mich gut an seine Strafpredigt. »Glaub nicht, weil du ein Zimmer oben in der Burg hast und ein Wappen auf deinem Wams, kannst du dir erlauben, dich in einen stinkfaulen Nichtsnutz zu verwandeln, der im Bett liegt bis Mittag und dann nur aufsteht, um sich die parfümierten Locken zu strählen. Ich dulde so etwas nicht. Du magst ein Bastard sein, aber du bist Chivalrics Bastard, und ich werde aus dir einen Mann machen, auf den er stolz sein kann.«
Meine Hand mit dem Striegel blieb in der Luft hängen. »Du meinst Edel, nicht wahr?«
Die unerwartete Frage überraschte ihn. »Wie?«
»Wenn du von Faulpelzen redest, die bis Mittag im Bett liegen und sich nur um Frisuren und Kleider kümmern, dann meinst du Edel.«
Im ersten Moment antwortete mir nur Schweigen. Als Burrich sprach, klang seine Stimme gepreßt. »Weder du noch ich haben das Recht, einen der Prinzen zu kritisieren. Ich wollte nichts weiter sagen, als daß es sich für einen Mann schlecht geziemt, den halben Tag zu verschlafen, und weniger noch für einen Jungen.«
»Und am wenigsten für einen Prinzen«, fügte ich hinzu und wunderte mich selbst, woher dieser Gedanke gekommen war.
»Und am wenigsten für einen Prinzen«, stimmte Burrich grimmig zu. Er war in der Nachbarbox mit dem entzündeten Mittelfuß eines Wallachs beschäftigt. Das Tier zuckte plötzlich, und ich hörte Burrich angestrengt ächzen, als er sich bemühte, ihn zu halten. »Dein Vater versäumte nie seine Pflichten, weil er am Abend vorher gezecht hatte. Natürlich war er trinkfest wie leicht kein zweiter, aber auch Disziplin hatte damit zu tun. Und nicht etwa, daß ein Diener ihn weckte, er stand aus dem Bett auf und erwartete von allen in seinem Gefolge, daß sie seinem Beispiel folgten. Auch wenn es nicht unbedingt zu seiner Beliebtheit beitrug, die Soldaten respektierten ihn. Männern imponiert es, wenn ihr Anführer sich nicht schont und selbst bereit ist zu tun, was er von ihnen verlangt. Und noch etwas will ich dir sagen. Dein Vater verschwendete keinen Dukaten dafür, sich auszustaffieren wie ein Pfau. Als junger Mann, vor seiner Ehe mit Prinzessin Philia, war er auf einer der Vasallenburgen zu Gast geladen. Man hatte mir einen Platz nicht allzuweit von ihm entfernt angewiesen, eine große Ehre für mich, und ich konnte einiges von seiner Unterhaltung mit der Tochter des Hauses hören, die man hoffnungsvoll neben den Thronfolger gesetzt hatte. Sie kokettierte mit dem Smaragdgeschmeide, das sie trug, und er machte ihr ein höfliches Kompliment. ›Ich dachte, Ihr mögt vielleicht keine Juwelen, weil Ihr heute abend selbst keine tragt, Prinz‹, sagte sie, und er antwortete, daß seine Juwelen um vieles größer seien als die ihren und heller funkelten. ›Oh, und wo habt Ihr diese kostbaren Steine verwahrt? Ich möchte sie gerne bewundern.‹ Nun, lautete seine Erwiderung, er werde sie ihr gerne zeigen, später, sobald es dunkel sei. Ich sah sie erröten, in Erwartung eines romantischen Stelldicheins. Und nach dem Mahl bat er sie, ihn auf die Zinnen zu begleiten, aber die halbe Gästeschar schloß sich ihnen an. Was er ihnen dann zeigte, waren die Lichtpunkte
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